- 23.09.2011, 10:39:32
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VfGH stöhnt nach wie vor unter hoher Zahl von Asyl-Beschwerden Auch Verwaltungsgerichtshof drängt weiter auf Entlastung
Wien (PK) - Der Verfassungsgerichtshof (VfGH) stöhnt nach wie vor
unter der großen Zahl von Asyl-Beschwerden. Im Jahr 2010 sind an
den VfGH wieder fast 3.000 Asylfälle herangetragen worden, was
rund 60 % des gesamten Aktenanfalls entspricht. Das geht aus dem
Tätigkeitsbericht des Verfassungsgerichtshofs für das Jahr 2010
hervor, der von Bundeskanzler Werner Faymann gemeinsam mit dem
Tätigkeitsbericht des Verwaltungsgerichtshofs 2010 vor kurzem dem
Nationalrat vorgelegt wurde (III-266 d.B.).
Der Verfassungsgerichtshof weist darauf hin, dass es ihm zwar
auch im Jahr 2010 im Großen und Ganzen wieder gelungen ist, die
Arbeitslast einigermaßen zu bewältigen, er fürchtet allerdings,
dass die hohe Zahl von Asyl-Beschwerden und die daraus
resultierende Doppelbelastung des VfGH die durchschnittliche
Verfahrensdauer von Verfahren vor dem Verfassungsgerichtshof in
absehbarer Zeit verlängern und die eigentliche Aufgabe des VfGH,
über grundsätzliche, für den Rechtsstaat essentielle Rechtsfragen
zu entscheiden, beeinträchtigen wird. Vor allem auch vor dem
Hintergrund, dass die Zahl juristisch schwieriger und äußerst
aufwändiger Verfahren im Zunehmen begriffen ist.
Der Verfassungsgerichtshof hofft in diesem Sinn, dass die in
Aussicht genommene Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit
möglichst rasch umgesetzt und die Zuständigkeit zur Entscheidung
von Asylrechtssachen wieder dem Verwaltungsgerichtshof übertragen
wird. Nur so sei eine wirkliche und dauerhafte Entlastung des
VfGH möglich, heißt es im Bericht. Kurzfristig drängen die VfGH-
Richter auf eine verstärkte budgetäre und organisatorische
Unterstützung.
4.719 Rechtssachen erledigt, 20 Gesetze teilweise aufgehoben
Insgesamt wurden im Jahr 2010 an den Verfassungsgerichtshof 5.133
neue Fälle herangetragen. 2.911 davon betrafen den Asylbereich.
Um den Arbeitsanfall zu bewältigen, hielt der
Verfassungsgerichtshof zusätzlich zu den üblichen vier
mehrwöchigen Sessionen zwei kurze Zwischensessionen im Jänner und
April ab. Insgesamt konnte er dabei 4.719 Rechtssachen erledigen.
Dazu zählen unter anderem 103 Gesetzesprüfungsverfahren, 110
Verordnungsprüfungsverfahren, 12 Wahlanfechtungen, 2.740 Asyl-
Beschwerden sowie 1.738 Bescheidbeschwerden.
2.606 Rechtssachen, und damit deutlich mehr als in den
vergangenen Jahren (2007: 1.359, 2008: 2.174, 2009: 2.192), waren
am Ende des Berichtsjahres noch offen, davon 1.321
Asylrechtssachen. Die durchschnittliche Verfahrensdauer blieb
2010 mit 224 Tagen, vom Eingangsdatum bis zur Abfertigung der
Entscheidung gerechnet, im Rahmen des mehrjährigen Durchschnitts
von acht Monaten, wobei Asylrechtssachen nicht berücksichtigt
sind.
In 274 Fällen gab der Verfassungsgerichtshof laut Bericht dem
Beschwerdeführer bzw. der Beschwerdeführerin statt. Dem stehen
153 Abweisungen, 206 Zurückweisungen und 1.779 Ablehnungen
gegenüber. Die restlichen 2.307 Fälle firmieren unter "sonstige
Erledigungen", wozu etwa Einstellungen zählen.
Unterschiedliche Seniorentarife sind gesetzeswidrig
Im Rahmen der Gesetzesprüfung hob der VfGH von 43 geprüften
Bundes- und Landesgesetzen 20 teilweise auf. Dazu gehörten etwa
Bestimmungen im Abschlussprüfungs-Qualitätssicherungsgesetz, in
der Strafprozessordnung, im Arbeitslosenversicherungsgesetz, im
Einkommensteuergesetz und im Finanzausgleichsgesetz 2008. 23
Gesetze, unter anderem das Emissionszertifikategesetz, das
Poststrukturgesetz und die Straßenverkehrsordnung hielten der
Prüfung hingegen stand. 165 Gesetzesprüfungsverfahren waren mit
Jahresende noch offen, davon 5 Fälle aus dem Jahr 2009.
Wie aus dem im Bericht angeführten ausgewählten Entscheidungen
hervorgeht, wurde vom VfGH auch das Anliegen abgelehnt, den
Vertrag von Lissabon als verfassungswidrig aufzuheben bzw. für
nichtig zu erklären. Er wies einen entsprechenden Antrag als
unzulässig zurück und stellte dabei klar, dass aus der Verfassung
zwar ein Recht auf Teilnahme an einer angeordneten
Volksabstimmung, nicht aber ein Recht auf Durchführung einer
Volksabstimmung abzuleiten sei.
Ebenfalls vom Verfassungsgerichtshof entschieden wurde, dass
Seniorentarife von Verkehrsbetrieben, die für Männer erst ab dem
65. Lebensjahr, für Frauen hingegen schon ab dem 60. Lebensjahr
gelten - unabhängig davon, ob jemand pensioniert ist -
gesetzeswidrig sind, weil sie dem Gleichbehandlungsgesetz
widersprechen.
Personell kam es 2010 auf Ebene der VfGH-RichterInnen zu drei
Änderungen im Verfassungsgerichtshof: Michael Holoubek wurde auf
Vorschlag des Nationalrats, Georg Lienbacher auf Vorschlag der
Bundesregierung zu Mitgliedern des VfGH ernannt. Barbara Leitl-
Staudinger ist neues VfGH-Ersatzmitglied.
Umfassende Informationen über die Arbeit des
Verfassungsgerichtshofs finden sich auf der Website des
Gerichtshofs unter www.verfassungsgerichtshof.at.
VwGH urgiert zweistufiges System der Verwaltungsgerichtsbarkeit
Nach wie vor überlastet ist auch der Verwaltungsgerichtshof
(VwGH). Aufgrund des weitgehenden Wegfalls von Asyl-Beschwerden
lag die Zahl der vom VwGH erledigten Fälle im Jahr 2010 zwar
bereits zum zweiten Mal in Folge deutlich über der Zahl der
Neuanfälle, der Aktenrückstand ist aber weiter erheblich. Um den
Erledigungsrückstand vollständig abbauen und die Verfahrensdauer
nachhaltig reduzieren zu können, hält der VwGH eine
Strukturreform der Verwaltungsgerichtsbarkeit für unerlässlich.
Nachdem zuletzt, wie im Bericht festgehalten wird, ein Stillstand
des Reformprozesses zu verzeichnen gewesen sei, hoffen die
Verwaltungsrichter nun auf eine Umsetzung des Regierungsfahrplans
2011-2013, der in Bezug auf die Einführung einer zweistufigen
Verwaltungsgerichtsbarkeit die Vorlage eines Regierungsentwurfs
für den Winter 2011 in Aussicht stellt. Der VwGH verweist in
diesem Zusammenhang auch auf das zunehmende Spannungsverhältnis,
in dem sich die bestehende einstufige Verwaltungsgerichtsbarkeit
in Österreich zu den Anforderungen der Europäischen Union und der
Europäischen Menschenrechtskonvention befindet. Nur mit einer
einheitlich zweistufigen Verwaltungsgerichtsbarkeit würde ein
zeitgemäßes und internationalen Standards entsprechendes
Rechtsschutzsystem geschaffen, ist er überzeugt.
Um den Gerichtshof kurzfristig zu entlasten, schlägt der VwGH
unter anderem vor, den seit 1991 nahezu unveränderten, derzeit
750 € betragenden Grenzwert für die Ablehnung einer Beschwerde in
Verwaltungsstrafsachen auf zumindest 2.000 € anzuheben. Außerdem
urgiert er eine Kompetenzerweiterung der Unabhängigen
Verwaltungssenate (UVS) im Bereich des Fremdenpolizeirechts und
des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts, wobei der Nationalrat
diesem Anliegen bei den Rückkehrentscheidungen bereits Rechnung
getragen hat.
1.537 angefochtene Bescheide aufgehoben
Konkret sind im Jahr 2010 4.851 neue Beschwerden beim
Verwaltungsgerichtshof eingelangt, das ist ein Minus von 9,43 %
(505) gegenüber dem Vorjahr. 6.774 Fälle wurden im gleichen
Zeitraum erledigt. Somit konnte der Rückstau der unerledigten
Beschwerdefälle auf 8.242 abgebaut werden. Die durchschnittliche
Erledigungsdauer der mit einer Sachentscheidung erledigten
Bescheidbeschwerden erhöhte sich allerdings gleichzeitig von 19
auf 23 Monate. In vielen Fällen müssen Beschwerdeführer immer
noch jahrelang auf eine Entscheidung des VwGH warten: insgesamt
waren mit Ende 2010 853 Verfahren bereits mehr als drei Jahre
anhängig. 20 offene Fälle datierten sogar aus dem Jahr 2005.
Was die 6.774 erledigten Beschwerden und sonstigen Anträge
betrifft, entschied der Verwaltungsgerichtshof in 1.537 Fällen
(22,69 %), den angefochtenen Bescheid aufzuheben. Grund dafür
waren in erster Linie inhaltliche Einwände (1.065), in etlichen
Fällen wurden aber auch Verfahrensvorschriften verletzt oder
Entscheidungen von einer unzuständigen Behörde getroffen. In
2.084 Fällen wurde die Beschwerde hingegen als unbegründet
abgewiesen. Die Behandlung der weiteren Beschwerden wurde
entweder abgelehnt oder das Verfahren wegen fehlender
Prozessvoraussetzungen eingestellt. 9 Mal entschied der VwGH in
der Sache selbst.
Die Aufarbeitung der in Asylsachen entstandenen Rückstände könnte
dem VwGH zufolge 2011 zur Gänze abgeschlossen werden.
Meisten Beschwerdefälle betreffen Sicherheitswesen
Inhaltlich gesehen betrafen die mit Abstand meisten
Beschwerdefälle wieder das Sicherheitswesen (3.048). Aber auch
Steuerbescheide und Bescheide aus den Bereichen Baurecht,
Arbeitsrecht, Sozialversicherung und Dienstrecht wurden beim
Verwaltungsgerichtshof häufig bekämpft. In 14 Fällen machte der
VwGH ein Normenprüfungsverfahren beim Verfassungsgerichtshof
anhängig, drei Fälle legte der VwGH dem Europäischen Gerichtshof
(EuGH) zur Vorabentscheidung vor. Gleichzeitig ergingen im
Berichtszeitraum fünf Vorabentscheidungen des EuGH über Ersuchen
des Verwaltungsgerichtshofs.
Im Bericht werden einige ausgewählte Entscheidungen des
Verwaltungsgerichtshofs angeführt, etwa in Bezug auf die
Versteuerung von privat genutzten Bonusmeilen, die Wahrung des
Objektivitätsgebots durch den ORF, die Haftung juristischer
Personen für Geldstrafen von Geschäftsführern und anderen
befugten Vertretern, die 380 kV-Leitung in Salzburg, die
Gewährung von Sozialhilfe an EU-Bürger und den Nichtraucherschutz
in Einkaufszentren.
Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs sind - ebenso wie
Entscheidungen des Verfassungsgerichtshofs - kostenlos im
Rechtsinformationssystem des Bundes abrufbar (www.ris.bka.gv.at).
Weiters stellt die Website des VwGH (www.vwgh.gv.at)
tagesaktuelle Informationen zur Rechtsprechung bereit. (Schluss)
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