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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Murdoch als Symbol für die Generalabrechnung" (von Matthias Thibaut)
Ausgabe vom 20.07.2011
Graz (OTS) - Mitten im verregneten Sommer feiern die Briten
politischen Frühling. Ein Tyrann wird gestürzt. Rupert Murdoch und
sein Sohn James gestern vor dem Unterhausausschuss - das war fast,
als sei ein Diktator vom Schlage Gaddafis vor das Den Haager
Menschenrechtsgericht zitiert worden.
Eine Gesellschaft, die sich offenbar bis hinauf zu ihren
Premierministern von dem Medienherrscher einschüchtern ließ, rächt
sich. Wie bei jeder Revolution rollen die Köpfe - von Zeitungsleuten,
Medienmanagern, Polizisten und bald vielleicht auch von Politikern.
Labourchef Ed Miliband spielt jetzt die Rolle des jugendlichen
Revolutionärs. Glühend vor Begeisterung beschreibt er das Gefühl,
"dass sich alles geändert hat". Die Politik habe "eine neue Seele"
bekommen. Er meint damit auch sich selbst. Eben noch wollte seine
Partei ihn als politischen Versager absägen, nun entwirft er eine
Vision nach der anderen. Murdoch war nur der Anfang. Als Nächstes
will er alle Zentren "unverantwortlicher Macht" von den Banken bis zu
den großen Energiekonzernen zurechtstutzen.
Premier Cameron dagegen wurde wie der letzte Statthalter des
diskreditierten Ancien Régime auf der falschen Seite erwischt. Gerade
noch saß er scheinbar fest im Sattel. Nun wird er mit jedem Rücktritt
verwundbarer. Wenn er nicht schnell doch noch die rechten Worte
findet, wird er vom Strudel der Umwälzung hinuntergezogen. Aus Afrika
musste er vorzeitig zurückkehren, um seine Position zu festigen.
Wäre er daheimgeblieben, hätte man ihn als Gefangenen der Krise
kritisiert, unfähig, sein Amt als Premier auszuüben. Großbritanniens
Linke hat mit der Generalabrechnung begonnen. Neben Margaret Thatcher
wird Rupert Murdoch jetzt zum Oberschurken der letzten 30 Jahre
aufgebaut. Alles ist seine Schuld: die Entfesselung des Markts, die
Verachtung für den Sozialstaat, die zynische Schaffung einer neuen
Unterklasse, die Feindseligkeit gegenüber der Regulierung der Banken,
die Kriegslust der Briten, ihre Europafeindlichkeit.
Wie immer in solchen Krisen wird maßlos übertrieben. Aber richtig
ist, dass sich Murdochs Sturz nahtlos in die Reihe epochaler
Erschütterungen der britischen Gesellschaft einfügt, deren Folgen
erst langsam sichtbar werden. Erst brachen die Banken zusammen und
mit ihnen das Vertrauen in eine wirtschaftliche Führungselite, die
nur ihren eigenen Gewinn im Auge hatte. Dann erschütterte der große
Spesenskandal von 2009 das Vertrauen in Politiker und politische
Institutionen. Vertrauen wollen die Briten offenbar nur noch ihrer
Queen.****
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