Obdachlosigkeit hat viele Gesichter: Häufig das eines jungen Menschen oder einer Frau
Wien (OTS) - "Wohnungslose Menschen müssen immer wieder als
'Spitze des Eisberges Armut' herhalten. In der Analyse wird die
individuelle Verantwortung der Betroffenen betont, über die
strukturellen Ursachen allerdings gerne hinweggesehen", berichtet
Walter Kiss von der Volkshilfe Wien und Vorsitzender des Vereins
Wiener Wohnungslosenhilfe bei der Präsentation des Jahresberichts
2010. Mit dem Jahresbericht will die 2008 gegründete
Interessensvertretung der privaten und vom Fonds Soziales Wien
anerkannten Träger die unterschiedlichen Ausprägungen und
Herausforderungen von Obdachlosigkeit in Wien aufzeigen. Besonders
wird im aktuellen Bericht auf die Themen Mitspracherechte und
Mitbestimmung und auf die Menschen hinter den Zahlen eingegangen. Das
Angebot für wohnungslose Menschen wurde in den letzten Jahren stark
ausgebaut, so dass es in Wien im Vorjahr insgesamt 4.439 Wohnplätze
gab.
Obdachlosigkeit hat viele Formen und Ausprägungen
"Beim Thema Obdachlosigkeit haben viele Menschen das klassische Bild
vom 'Sandler' auf der Parkbank im Kopf. Ja, den gibt es auch heute
noch. Aber die Formen und Ausprägungen von Wohnungslosigkeit und
Obdachlosigkeit sind heute wesentlich vielfältiger: Besonders oft
sind etwa junge Menschen oder Frauen betroffen", so Alexander
Bodmann, Generalsekretär der Caritas der Erzdiözese Wien. Bereits ein
Drittel der KlientInnen, die sich hilfesuchend an die
Caritas-Erstanlaufstelle P7 - Wiener Service für Wohnungslose -
wenden, ist heute unter 30 Jahre alt. Damit sind die 18- bis
30-jährigen die größte Gruppe unter den Obdachlosen Wiens. Jede
vierte armutsgefährdete Person in Österreich ist ein Kind oder ein
Jugendlicher - das sind etwa 270.000 Burschen und Mädchen unter 19
Jahren. Armut lässt sich nicht nur materiell bemessen, sie bedeutet
häufig auch Chancenarmut. Konkret haben Kinder und Jugendliche aus
armen Familien meist weniger Chancen auf eine gute Ausbildung.
Auffallend ist vor allem, dass der familiäre Rückhalt für junge
Menschen deutlich abnimmt und ihre persönliche Situation davon
geprägt ist, dass sie weder als Kind gelten noch wirklich erwachsen
sind. In einem Lebensabschnitt, in dem wichtige Entscheidungen in
beruflicher und persönlicher Hinsicht getroffen werden müssen, fehlt
es ihnen vielfach an Orientierung. Insgesamt haben sich die Chancen
der jungen Erwachsenen auf gesellschaftliche Teilhabe in den letzten
Jahrzehnten verringert. Der Zugang zum Arbeitsmarkt erfordert immer
höhere Qualifikationen und aufgrund des geringen Einkommens stehen
kaum leistbare Wohnungen zur Verfügung. Viele Jugendliche und junge
Erwachsene sind diesen gesteigerten Anforderungen und den damit
verbundenen Verpflichtungen nicht gewachsen.
Auch Frauen sind massiv von Obdachlosigkeit betroffen. Trotzdem waren
von den rund 8.300 KlientInnen der Wiener Wohnungslosenhilfe im Jahr
2010 nur etwa 2.400 Frauen. Eine Erklärung dafür liegt darin, dass
Frauen andere Strategien wählen als Männer, wenn sie von
Wohnungslosigkeit bedroht sind. Viele Frauen leben in einer
Situation, in der die wirtschaftliche Absicherung über den Partner
geschieht. Eine Trennung bedeutet dann nicht selten, mit der
Beziehung auch das Dach über dem Kopf zu verlieren. Viele Frauen
gehen in dieser Situation Zweck- oder gar Zwangspartnerschaften ein,
um nicht auf der Straße zu landen. Das gilt umso mehr, wenn sie
Kinder haben. In den schlimmsten Fällen lassen Frauen über Jahre
hinweg psychische, physische und sexualisierte Gewalt über sich
ergehen. "Während unsere Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter in
solchen Fällen schon von versteckter Obdachlosigkeit sprechen, ist
betroffenen Frauen ihre Situation nur selten in der vollen Tragweite
bewusst" so Bodmann, und weiter: "Frauen brauchen eigene,
frauenspezifische Schutz- und Lebensräume. Spezielle Angebote wurden
in den letzten Jahren ausgebaut. Um zukünftig optimale
Rahmenbedingungen für die spezifischen Bedürfnisse von wohnungslosen
Frauen zu schaffen, bleibt einiges zu tun. Denn der tatsächliche
Bedarf an frauenspezifischen Einrichtungen kann nach wie vor nur
geschätzt werden. Wir sehen, dass alle neuen Einrichtungen eine hohe
Akzeptanz erfahren und dadurch die Nachfrage steigt."
Verband Wiener Wohnungslosenhilfe
Der Verband ist eine Kooperation aus den Mitgliedsorganisationen ARGE
Wien, Arbeiter Samariterbund Wien, Caritas der Erzdiözese Wien,
Heilsarmee, Hilfswerk Wien, neunerHAUS, Volkshilfe Wien, Wiener Rotes
Kreuz, Wobes und dem Verein Struktur. Dieser Jahresbericht 2010 wurde
vom Verband Wiener Wohnungslosenhilfe in Kooperation mit "wieder
wohnen" und dem Verein Neustart erarbeitet. Ziel der
Wohnungslosenhilfe in Wien ist es, die Qualität der Betreuung von
Obdach- und Wohnungslosigkeit betroffener Menschen zu heben und die
damit verbundenen Dienstleistungen kontinuierlich weiterzuentwickeln.
Zu diesem Zweck wurde im Berichtsjahr gemeinsam mit VertreterInnen
der Stadt Wien eine Studie zur Wirksamkeit der Wohnungslosenhilfe
beauftragt. "Die Zusammenarbeit der Wiener Wohnungslosenhilfe mit
privaten Anbietern und der Stadt Wien gilt europaweit als 'Best
Practice'. Um die hohe Qualität der Arbeit in Zukunft zu
gewährleisten, sind aber Standards in der Wohnungslosenhilfe
notwendig. Es bedarf auch entsprechender Rahmenbedingungen, die es
den Einrichtungen erst ermöglichen, diese Standards zu garantieren.",
so Kiss abschließend.
Rückfragehinweis:
Klaus Schwertner, Caritas der Erzdiözese Wien, Tel.: 01/87812-221, Mobil: 0664/848 26 18, E-Mail: klaus.schwertner@caritas-wien.at
Christine Himmer-Penz, Volkshilfe Wien, Tel.: 01/36064-79, Mobil: 0676/88666307, E-Mail: himmer-penz@volkshilfe-wien.at
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