• 12.04.2011, 18:22:30
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"Die Presse" - Leitartikel: Den Rechtsstaat gibt es nicht, von Florian Asamer

Ausgabe vom 13.04.2011

Wien (OTS) - Justizministerin Claudia Bandion-Ortner setzt für die
Rettung ihres Amtes nicht viel weniger aufs Spiel als das höchste ihr
anvertraute Gut: den Ruf der Gerichtsbarkeit.

Auf den ersten Blick schaut der Vorgang sehr beeindruckend aus. Die
Justizministerin tritt vor die Presse, verliest ein knappes
Kommuniqué, in dem sie ankündigt, mittels Weisung Schwung in einige
stockende Großverfahren bringen zu wollen. Dreht sich um und
verschwindet - ohne Fragen zuzulassen - hinter den Mauern des
ehrwürdigen Palais Trautson. Tags darauf werden quer durch Europa
Büros durchsucht, innerhalb und außerhalb von Österreich Akten
sichergestellt, dazu klicken in Wien bei einem seit zwei Jahren
flüchtigen Neonazi-Kopf die Handschellen. Die Chefin greift durch,
und die österreichische Justiz arbeitet wieder?
Nein, denn auf den zweiten Blick könnte einem angst und bange werden.
Die parteiintern schwer angezählte Claudia Bandion-Ortner versucht
mit einer Verzweiflungsoffensive, ihren Kopf zu retten, und setzt
dafür nicht viel weniger aufs Spiel als das höchste ihr anvertraute
Gut: den Ruf der Gerichtsbarkeit.

In Österreich liegen derzeit sowohl das tatsächliche Funktionieren
der Gerichtsbarkeit als auch ihr Ansehen im Argen: Schon bisher
konnte man sich nach den vielen schleppend bearbeiteten Megacausen
ohnehin nicht mehr des Eindrucks erwehren, die tatsächlichen
Möglichkeiten Justitias vermögen längst nicht mehr, mit den
Realitäten in der weiten Welt der Wirtschaftsverbrechen da draußen
mitzuhalten. Als Belege dafür können Verfahren von Libro bis Meinl,
von Buwog bis zu den Eurofightern, vom aufgehobenen Bawag-Urteil bis
zur Blamage der Staatsanwaltschaft rund um die Hypo Alpe Adria
gelten.
Nun verstärkt Bandion-Ortner diesen Eindruck noch auf verheerende
Weise, indem sie öffentlich signalisiert: nicht einmal mehr die
Ressortministerin, die immerhin selbst Richterin ist, glaubt an das
Funktionieren des ihr unterstellten Apparates. Manche würden nun wohl
einwenden, wie es Bandion-Ortner auch mache, immer sei es verkehrt.
Man müsste ihnen antworten: So ist es auch, schon seit ihrem
verkorksten Amtsantritt vor zwei Jahren!
Das alles ist so wichtig, weil es den Rechtsstaat, von dem nicht nur
in der Verfassung, sondern vor allem in Sonntagsansprachen gern die
Rede ist, nämlich nicht gibt. Er ist immer nur so gut wie die Teile,
aus denen er besteht. So unerlässlich das Funktionieren seiner Organe
ist, so wichtig ist auch in der juristischen Theorie der Anschein der
Unabhängigkeit, den diese Institution ausstrahlt. Fehlt der Bürgerin,
dem Bürger das Vertrauen, zu ihrem Recht kommen zu können bzw.
gerecht beurteilt zu werden, nützt auch der am besten ausgestattete
Justizapparat nichts.
Viele Vorkommnisse der letzten Jahre haben dieses Vertrauen
nachhaltig erschüttert. Man denke etwa nur an die Verjährungsaffäre
in der Causa Strasser, die Bestellung der Bawag-Richterin
Bandion-Ortner zur Ministerin, obwohl das Verfahren nicht
abgeschlossen war, oder den Umgang mit Verfahren, in denen Politiker
involviert waren. Ebenso wie übrigens der Umstand, dass - wann immer
über Justizpolitik debattiert wird - einige wenige (sicher
bedeutende) Promi-Verfahren im Mittelpunkt stehen. Dass nicht
clamoröse Menschen, die eine verbindliche juristische Entscheidung
suchen, von der nicht selten ihre Existenz abhängt, oft jahrelang
warten müssen, wird viel zu selten thematisiert. Ebenso übrigens das
Recht von (auch prominenten) Beschuldigten, nicht jahrelang als
solche herumlaufen zu müssen, ohne tatsächlich jemals verurteilt
worden zu sein.

Zur Ehrenrettung der Gerichte sei übrigens gesagt: Viele Verfahren
funktionieren klaglos. Und es ist durchaus ein gutes Zeichen, dass
nicht alle, die von der öffentlichen Meinung gern im Gefängnis
gesehen werden möchten, auch tatsächlich dort landen (nicht jeder
"Lump" hat sich auch strafrechtlich etwas zuschulden kommen lassen).
Als Entschuldigung für ungenügende Ermittlungsarbeiten, nicht
zeitgemäß ausgebildetes Personal, wenig Effizienz, veraltete
Strukturen und eine überforderte Ressortchefin kann das aber nicht
gelten. Dazu ist es zu essenziell, dass der Rechtsstaat funktioniert.
Auch auf den zweiten Blick.

Rückfragehinweis:
chefvomdienst@diepresse.com

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