Wien (OTS) - Sehr geehrtes Mitglied des Justizausschusses,
ich wende mich heute per Briefpost an Sie, weil in Zukunft Briefe
die einzige Möglichkeit sein werden, um unbeobachtet und privat
miteinander zu kommunizieren. Mit großer Sorge stellen wir einen
schrittweisen Verfall unserer Bürger- und Menschenrechte fest.
Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung im Wege der TKG- bzw. SPG- und
StPO-Novelle
Am 23. März 2011 sind Sie als Mitglied des Justizausschusses des
Österreichischen Nationalrates um Ihre Meinung und fachliche
Expertise gefragt, was die gesetzlichen Änderungen rund um das
Schlagwort "Vorratsdatenspeicherung" betrifft.
Natürlich unterstützen wir jede sinnvolle Initiative, jede
Maßnahme, die der Bekämpfung von Terrorismus oder von
Kinderpornographie, dient. Mit Rückgriff auf Schlagworte wie
Terrorismusbekämpfung und Kinderpornographie wird allerdings nicht
selten versucht, Kritik an der Verhältnismäßigkeit von staatlichen
Maßnahmen im Keim zu ersticken oder spezifische Einzelinteressen
(Stichwort: polizeigewerkschaftlich motivierter Machtzuwachs für die
Sicherheitsbehörden oder Interessen der "Urheberrechtsindustrie")
politisch leichter durchzusetzen.
Wie auch andernorts, dient nun auch in Österreich Lobbyisten die
Richtlinie 2006/24/EG über die Vorratsspeicherung von Daten als
Vorwand um eine durchgängige Überwachung aller Lebensbereiche
anzustreben und damit einen Überwachungsstaat Orwell'scher Prägung
einzuführen. Die derzeit ins Auge gefassten Gesetzesänderungen
überschreiten bei weitem den Mindestrahmen, den die Europäische
Kommission in ihrer Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung vorgesehen
hat. Daher ist die Argumentation, Österreich müsse diese Gesetze in
dieser Form erlassen, ansonsten drohen Strafen der EU in Millionen
Höhe, nur bedingt zutreffend.
Vor allem festzuhalten ist in diesem Kontext, dass sich der
österreichische Ansatz - entgegen dem ausdrücklichen Ziel der
EU-Richtlinie - nicht auf die Zwecke der Bekämpfung von Terrorismus
und der schweren, organisierten Kriminalität (oder sonstiger schwerer
Straftaten) beschränkt. Im Bereich der Internetnutzung etwa sollen
auf Vorrat gespeicherte Daten vielmehr für die Verfolgung jedweder
Straftaten (bspw. auch Ehrenbeleidigung) herangezogen werden können.
Zudem ist nachdrücklich zu betonen, dass die legistische Umsetzung
der Vorratsdatenspeicherung offenbar dazu missbraucht wird, die schon
bisher weitgehend ohne angemessene rechtsstaatliche Kontrolle
möglichen sicherheitspolizeilichen Eingriffe in das
Kommunikationsgeheimnis noch auszubauen. So soll die Identifizierung
von Internetnutzern durch die Polizei ohne gerichtliche oder sonstige
effektive unabhängige Kontrolle für praktisch jedweden
(sicherheitspolizeilichen) Zweck erlaubt werden.
Umgekehrt sollen aber die Betroffenenrechte etwa in Form der
nachträglichen Information über solche polizeilichen Eingriffe weit
hinter jenen zurückbleiben, die bei, von den Justizbehörden
angeordneten, vergleichbaren Überwachungsmaßnahmen vorgesehen sind.
Diese gravierende rechtsstaatliche Problematik besteht im Grunde
schon heute, wird aber durch die Vorratsdatenspeicherung weiter
verschärft.
Grundsätzliches zur Vorratsdatenspeicherung im europäischen Kontext
Die Richtlinie 2006/24/EG entstammt der Zeit vor dem Vertrag von
Lissabon. Mit dessen Inkrafttreten am 1. Dezember 2009 wurde die
Rechtsverbindlichkeit der EU-Grundrechtecharta festgeschrieben. Dies
bedeutet, dass sämtliche Gesetzgebungsakte der EU auch am Maßstab der
Grundrechtecharta gemessen werden müssen. Dies gilt
selbstverständlich auch für die Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung.
Bereits die Speicherung von Kommunikationsdaten auf Vorrat greift
insbesondere in die Grundrechte auf Achtung der Privatsphäre (Art 7
Grundrechtecharta) und auf Schutz personenbezogener Daten (Art 8
Grundrechtecharta) ein. Mit der Einführung der
Vorratsdatenspeicherung sollen nämlich Daten gespeichert und
verfügbar gemacht werden, die bisher explizit nicht gespeichert
werden dürfen.
An der Festlegung angemessener Schutzmechanismen oder technischer
Vorkehrungen zur Beschränkung dieser Eingriffe in der Richtlinie
selbst fehlt es aber. Die gesellschaftspolitischen Auswirkungen
können andererseits enorm sein, wenn erst einmal das Vertrauen in die
Kommunikationsfreiheit verloren ist. Implizit erfolgt die Abschaffung
des Redaktionsgeheimnisses, des polizeilichen Informantenschutzes,
des Anwaltsgeheimnisses und des Arztgeheimnisses. Daneben werden auch
alle anderen auf Vertrauen und Anonymität angewiesene Hilfsdienste
untergraben, wie "Rat auf Draht", der Frauennotruf, die Kummernummer,
die Telefonseelsorge oder die Aids-Hilfe.
In letzter Instanz hätte der Gerichtshof der EU über die
Vereinbarkeit der Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung mit der
Grundrechtecharta zu entscheiden. Bis dato hatte er dazu allerdings
mangels Vorlage durch nationale Höchstgerichte keine Gelegenheit. In
bisherigen Verfahren wegen Nichtumsetzung der Richtlinie 2006/24/EG
ging es nur um den formalen Aspekt der Fristversäumnis durch die
Mitgliedstaaten. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der
Vorratsdatenspeicherung als solcher unterblieb.
Allerdings hat sich bereits eine Reihe nationaler
Verfassungsgerichte mit der Thematik der Vorratsdatenspeicherung
befasst. Das rumänische sowie das bulgarische Verfassungsgericht
haben die Umsetzung mit der jeweiligen Verfassung als unvereinbar
erklärt. Im Februar 2011 hat auch das Höchstgericht von Zypern die
Vorratsdatenspeicherung für verfassungswidrig erklärt. Das deutsche
Bundesverfassungsgericht hat die deutsche Umsetzung der
Vorratsdatenspeicherung als grundrechtswidrig aufgehoben und die
Löschung aller bisher gespeicherten Daten angeordnet.
Die Niederlande, Griechenland und auch Schweden haben die
Richtlinie noch nicht umgesetzt. Schweden, normalerweise ein
Musterknabe, wenn es um die Umsetzung der EU-Gesetzgebung geht,
weigert sich trotz verlorener Klage vor dem EuGH die Richtlinie wegen
Bürgerrechtsbedenken umzusetzen.
Auf Antrag der EU-Kommission verurteilte das EU-Gericht in
Luxemburg das Königreich Schweden wegen Verstoßes gegen den
EU-Vertrag. Als Sanktion für seinen "Ungehorsam" muss Stockholm erst
mal nur die Gerichtskosten tragen. Die schwedische Regierung hat sich
nach wie vor kein abschließendes Urteil gebildet, ob diese Richtlinie
nicht auf unzulässige Weise die Integrität einzelner Mitbürger
verletze und damit ein Menschenrechtsverstoß sei. Am 16. März 2011
hat das Parlament in Schweden wieder gegen den dortigen Entwurf der
Umsetzung gestimmt.
Für Österreich ist darauf hinzuweisen, dass Österreich einerseits
- nicht zuletzt wegen innerstaatlicher Grundrechtsbedenken - säumig
mit der Umsetzung der Richtlinie 2006/24/EG ist und sich bereits auf
der Stufe eines Mahnverfahrens im Anschluss an eine Verurteilung
durch den EuGH wegen Nichtumsetzung befindet. Zugleich wurde
Österreich wegen unvollständiger Umsetzung der
EG-Datenschutzrichtlinie geklagt. Dies
deshalb, weil die Kommission der Ansicht ist, die
Datenschutzkommission verfüge nicht über die nötige Unabhängigkeit
als Kontrollorgan nach der EG-Datenschutzrichtlinie.
Hier besteht insofern ein Zusammengang mit der
Vorratsdatenspeicherung als im Artikel 9 der EU-Richtlinie zur
Vorratsdatenspeicherung eine unabhängige Kontrollstelle verlangt
wird, welche in Österreich mit der Datenschutzkommission
gleichzusetzen wäre. Fehlt es der Datenschutzkommission tatsächlich
an dieser Unabhängigkeit, würde dies die Grundrechtsproblematik der
Vorratsdatenspeicherung naturgemäß zusätzlich verschärfen.
Evaluierung der Vorratsdatenspeicherung auf EU-Ebene
Die EU-Kommission ist seit 15. September 2010 ist mit ihrem
Evaluierungsbericht in Verzug. Bis heute gibt es keine fundierten
Analysen, ob die Vorratsdatenspeicherung überhaupt Sinn macht und zur
Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität geeignet
ist.
Derzeit ist auch noch nicht erkennbar, welche Änderungen die
EU-Kommission vorschlagen wird. Derzeit ist offen, ob der EuGH diese
Richtlinie aus grundrechtlichen Überlegungen aufheben wird.
Österreich, als aktives Mitglied der EU, sollte sich für die
Rücknahme der Richtlinie zur EU-Vorratsdatenspeicherung einsetzen.
Vorratsdatenspeicherung als Fußfesseln für die Gesamtbevölkerung
Die elektronische Fußfessel verwendet das Handy-Signal um den
Standort des Häftlings zu überwachen. In gleicher Weise protokolliert
die Vorratsdatenspeicherung die Position der österreichischen Bürger
und zeichnet dies auf Vorrat auf. Beschränkt sich die Neugierde des
Staates bei Häftlingen auf die reinen Standortdaten, so sollen bei
allen unbescholtenen Bürgern zusätzlich auch noch alle
Komunikationsdaten auf Vorrat gespeichert werden: wer wen angerufen
hat, wer wem eine SMS geschickt hat, wer welche eMail empfangen hat -
damit kann sich die Vorratsdatenspeicherung zur elektronische
Fußfessel für alle unbescholtenen Bürger entwickeln.
Bei den Vorratsdaten wird immer der Kontakt zwischen 2 Menschen
protokolliert - Daten die Zwangsläufig nur Sinn machen, wenn die
Kontakte ausgewertet werden - eine Technik, die in den Zeiten des
RAF-Terrors in Deutschland unter dem Begriff "Rasterfahndung" bekannt
wurde. In Sozialen-Netzwerken wird die These aufgestellt, dass jeder
Mensch über maximal 7 Schritte mit jedem Menschen verbunden ist. Nach
dieser Analyse ist jeder verdächtig - je mehr Kontakte man hat, umso
verdächtiger wird man zwangsläufig.
In der EU-Richtlinie wird an mehreren Stellen ausdrücklich auf den
Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen und dass die
Vorratsdaten nur zum Zwecke der Ermittlung, Feststellung und
Verfolgung von schweren Straftaten zur Verfügung stehen. Besonders
Augenmerk galt der Bekämpfung des Terrorismus und der schweren,
organisierten Kriminalität.
Schlussfolgerung
Bei der Umsetzung in nationales Recht müssen die Grundrechte in
vollem Umfang gewahrt werden. Nach Artikel 8 der EMRK in der
Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
müssen Eingriffe von Behörden in das Recht auf Privatsphäre den
Anforderungen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit genügen und
deshalb festgelegten, eindeutigen und rechtmäßigen Zwecken dienen,
wobei sie in einer Weise erfolgen müssen, die dem Zweck des Eingriffs
entspricht, dafür erheblich ist und nicht darüber hinausgeht.
Sehr geehrtes Mitglied des Justizausschusses, in Ihrer Funktion als
Mitglied des Justizausschusses möchte ich Sie bitten, Ihren Einfluss
geltend zu machen, die Umsetzung in Österreich so lange auszusetzen,
bis die prinzipiellen Fragen in den andern EU-Ländern bzw. in der EU
selber, von den Verfassungsgerichten geklärt ist, die durch die
Gültigkeit einer EU-Grundrechtscharta seit dem Vertrag von Lissabon
in Europa gilt.
Unabhängig von diesem Evaluierungsbericht muss getrachtet werden
Grundrechtseingriffe zurückzuschrauben. Wenn die EU in ihrem
Evaluierungsbericht Vorratsdaten zur Strafverfolgung als notwendig
erachtet, sollte auch in Österreich, wie in anderen Ländern ein
"Quick-Freeze-Verfahren" diskutiert werden. Ein Verfahren, das zu
letzt von Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
vorgeschlagen und von EU-Justizkommissarin Viviane Reding unterstützt
wurde.
Aus unserer Sicht sollte eine Umsetzung explizit auf die
Bekämpfung von Terrorismus und der schweren, organisierten
Kriminalität beschränkt sein. Gleichzeitig muss vor Umsetzung eine
Lösung gefunden werden, wie besondere Schutzrechte, wie die
Pressefreiheit erhalten bleiben. Statt alle Menschen unter
Generalverdacht zu stellen, sollte das "Quick Freeze-Verfahren" zum
Einsatz kommen, also die Speicherung nur in Verdachtsfällen, mit
entsprechendem Rechtsschutz und Informationsverpflichtungen.
Information und Transparenz sind wesentliche Elemente einer
Anti-Missbrauchsgarantie bei geheimen Überwachungen. Insbesondere
darf es hinsichtlich der Rechtsschutzmöglichkeiten für Betroffene
keine Ungleichgewichte zwischen polizeilichen (SPG) und justiziellen
(StPO) Eingriffsmaßnahmen geben.
Im Namen des Vereins möchte ich Sie bitten uns in unserem Bemühen
um die Bürgerrechte zu unterstützen, und verbleibe
mit freundlichen Grüßen
Mag. Georg Markus Kainz
Chairman of the Board
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