• 25.07.2010, 19:09:46
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"Kleine Zeitung" Kommentar: "Über Masse, Macht und Ohnmacht" (Von Bernd Melichar)

Ausgabe vom 26.07.2010

Graz (OTS/Vorausmeldung) - Spätestens seit dem berühmten
soziologischen Großessay von Elias Canetti wissen wir Bescheid über
die oft fatalen Mechanismen von Masse und Macht. Und spätestens seit
der Katastrophe von Duisburg wissen wir, dass man der ungeheuren
Macht einer uferlosen Masse mit Ohnmacht gegenübersteht. Das Motto
der Love-Parade - "The Art Of Love" - klingt im Nachhinein wie purer
Hohn. Aus der Kunst des Liebens ist eine Todesfuge geworden. Aus
"Friede, Freude, Eierkuchen" - so der Slogan der ersten Parade 1989 -
Blut, Schweiß und Tränen.

Als die Panik unter den mehr als eine Million Feiernden bereits
ausgebrochen war, konnte niemand mehr diese endlose, reißerische Flut
an Menschen in sichere Bahnen lenken. Aber war Duisburg nicht die
Chronik einer angekündigten Katastrophe? Alles deutet darauf hin. In
Internetforen haben spätere Besucher bereits im Vorfeld vor dem
enormen Gefahrenpotenzial des Geländes gewarnt. Die Besuchermassen
durch eine enge Unterführung zu schleusen, erwies sich als
Organisationswahnsinn. Außerdem war das Areal - das für diesen
Massenansturm viel zu klein war - umzäunt. Eine "Herde", die
eingesperrt wird, reißt bei der kleinsten Beunruhigung aus und
trampelt sich gegenseitig zu Tode. All das hätte man wissen müssen.
Und können.

Über Sinn und Unsinn der Love-Parades lässt sich natürlich prächtig
streiten wie etwa über Sinn und Unsinn von sportlichen
Großveranstaltungen. Die Organisatoren haben nie vorgegeben, eine
politische und/oder soziale Botschaft zu haben. Es ging den schrillen
Vögeln, die ihr buntes Gefieder gerne im Scheinwerferlicht zeigen,
immer nur um Party & Musik. Eine Art Musikantenstadl der
Alternativszene. Anfangs "schunkelten" 150 Teilnehmer mit, zuletzt
1,4 Millionen.

Dem Erfinder der Love-Parade, dem DJ Dr. Motte, erging es im Laufe
der Jahre wie Goethes Zauberlehrling: Die Geister, die er rief, wurde
er nicht mehr los. Das Kind, das er ins Leben gerufen hatte, war
anfangs winzig klein, lieb, orginell, leicht erziehbar. Doch das Balg
wurde immer größer, fetter, gieriger, ungezogener, ließ sich nicht
mehr kontrollieren. Was als farbenfröhliches, unschuldiges Abtanzen
einer Randgruppe begonnen hatte, artete in eine
durchkommerzialisierte Mainstream-Veranstaltung aus, die immer mehr
an Quantität, aber immer weniger an Qualität gewann. DJ Motte
resignierte vor den Quälgeistern und zog sich 2006 aus dem Geschäft
zurück.

Jetzt ist die Party endgültig aus. Dass sie so tragisch endete, liegt
auch daran, dass so viele ignorante Geisteszwerge unter den
Verantwortlichen in Duisburg waren. ****

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