- 17.06.2010, 13:59:14
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"Zangengeburt" mit Folgeschäden für die Belegschaft des Unternehmens
Stellungnahme des ORF-Zentralbetriebsrates zur heutigen parlamentarischen Beschlussfassung des "neuen ORF-Gesetzes"
Wien (OTS) - Es war ein "historischer" Tag heute, historisch
insofern als man Zeuge einer parlamentarischen "Zangengeburt" werden
konnte, die ihresgleichen sucht. Nicht nur die politischen Parteien
haben anderthalb Jahre lang am ORF gezerrt, nein, zum Finale wurden
auch noch die Privatmedien in Form des Österreichischen
Zeitungsverbandes (VÖZ) eingeladen, sich Filetstücke aus dem
künftigen Fleisch des Unternehmens zu reissen. Stichwort:
Onlinebeschränkungen und Kooperationspflichten in der regionalen
TV-Werbung.
Man muss schon in die Historie der Gesetzeswerdung zurückgehen, um
verstehen zu können, was heute im Parlament geschehen ist. Am Anfang
standen Klagen und Beschwerden österreichischer Privatmedien
(Zeitungen wie Rundfunksender) über und gegen den ORF bei der EU. Bei
einer EU, die ohnehin seit Jahren unter dem Deckmäntelchen der
"Wettbewerbsfreiheit" europaweit einen radikal neoliberalen Kurs
gegen öffentliche Unternehmen im allgemeinen und
öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten im besonderen fährt. Nach
dementsprechenden EU-Vorgaben ging der Ball zurück nach Österreich,
wo in einem unerträglichen, das Unternehmen und seine Belegschaft
über Monate schädigendem und desavouierendem parteipolitischem
Gezerre ein sogenannter "Gesetzeskompromiß" entsteht, der die
"Brüssel-Vorgaben" gleich noch übererfüllt. Und ganz am Ende dann -
wie gesagt - Vereinbarungen zwischen ORF und eben jenem VÖZ, der per
Beschwerde in Brüssel das Ganze eingeleitet hat. Kommentar erübrigt
sich.
Wenn man heute in der Parlamentsdebatte (wie auch schon zuvor
insbesondere von Vertretern der sog. "bürgerlichen Reichshälfte")
gehört hat, dass unserem Unternehmen im Laufe von vier Jahren
gnädigerweise 160 Millionen Euro "aus Steuergeldern" zukommen werden,
dann ist das nichts anderes als eine veritable Chuzpe. Bekanntermaßen
geht es um eine Teilrefundierung jener Gebührenbefreiungen, die dem
ORF seit etlichen Jahren vorenthalten werden. Alleine für die vier
Jahre bis inkl. 2013 würde die gesamte Refundierungssumme 260 Mio.
Euro ausmachen. Geld, das der ORF und seine Belegschaft dringend
brauchen, und das uns ohne irgendwelche zusätzlichen Aufgaben oder
Auflagen zusteht, denn es kann ja wohl nicht Aufgabe eines
Medienunternehmens sein, staatliche Sozialpolitik zu betreiben oder
zu finanzieren.
Unerträglich wird diese politische Anmaßung dann, wenn wir uns vor
Augen halten, was den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Hauses an
eigenen Sparleistungen in einer finanziellen Notsituation des
Unternehmens verordnet wurde : Strikter Personalabbau ohne
Nachbesetzungen, Vertragsverschlechterungen, eine sog.
"Nulllohnrunde" und das Aussetzen von Pensionskassenbeiträgen.
In gut zwei Jahren hat der ORF 13% seiner Belegschaft "abgebaut",
wurden die Personalkosten massiv verringert.
Und jetzt soll das Ganze frei nach dem Motto "Jährlich grüßt das
Murmeltier" munter weiter gehen. Denn im heute verabschiedeten Gesetz
findet sich nach wie vor jener § 31, der unter anderem besagt, dass
zum Erhalt der (Teil-)Refundierungen Maßnahmen "zur strukturellen
Reduktion der Personalkosten einschl. einer Reduktion der Kapazitäten
und der Reduktion der Pro-Kopf-Kosten" zu setzen sind. Jährlich,
wohlgemerkt. Auf gut Deutsch heißt das, die "Blut-, Schweiß- und
Tränenspur", die sich durchs Unternehmen zieht, soll nun per
gesetzlichem Auftrag noch ausgeweitet werden.
Der Zentralbetriebsrat hat wiederholt vor dieser Gesetzesnovelle
und insbes. vor dem § 31 gewarnt. Wir haben auch ein Rechtsgutachten
des Universitäsprofessors Heinz Mayer erhalten, das eindeutig die
Verfassungswidrigkeit dieser Bestimmungen belegt. Wir haben in einer
Stellungnahme zum Gesetzesentwurf auch auf die bevorstehende
kostenintensive Überbürokratisierung des ORF (von der sog.
"Qualitätssicherung" bis zur Gleichbehandlung) hingewiesen und eine
Reform der überdimensionierten und damit oft auch ineffizienten
Aufsichtsgremien (insbes. Stiftungsrat) gefordert. Unsere Forderungen
und Anregungen wurden nicht gehört, sondern einem - wie man es heute
schön sehen konnte - parteipolitischem Kalkül und
wirtschaftspartnerschaftlichem Kuhhandel (nicht anders sind die
Vereinbarungen zwischen ORF und VÖZ zu verstehen) geopfert.
Auch wenn nun dem ORF im Laufe von vier Jahren 160 Mio. Euro
zukommen sollen, dieser Tag ist kein Freudentag für die
ORF-Belegschaft und ihre Vertretung. Zu massiv sind die Auflagen und
Einschränkungen im neuen ORF-Gesetz, zu riskant sind die heute noch
nicht abschätzbaren Folgeschäden für das Unternehmen und seine
Belegschaft.
Der Zentralbetriebsrat wird jedenfalls in den nächsten Tagen
zusammen kommen, um die neue Situation ausführlich zu beraten und
entsprechende Strategien und Schritte zu beschließen.
Rückfragehinweis:
ORF-Zentralbetriebsrat/Dr. Gerhard Moser/01 87878 12400
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