- 03.12.2009, 18:10:40
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Wiener Zeitung: Leitartikel von Reinhard Göweil: "Im Audimax probt die Welt"
Ausgabe vom 4. Dezember 2009
Wien (OTS) - Den studentischen Audimax-Besetzern geht es um
Gerechtigkeit. Nun erleben sie, wie biestig diese Gerechtigkeit sein
kann. Die Obdachlosen, die sich bei ihnen eingefunden haben, sind
Ausländer, vor allem aus Osteuropa. Sie fallen durch die Maschen des
Sozialnetzes, weil das Gesetz (und die EU selbst) "Sozialtourismus"
innerhalb der Union vermeiden möchte. Wer in Rumänien obdachlos ist,
kann sich in Wien tatsächlich eine bessere Schlafstelle erhoffen. Um
die Hoffnung zu zerstören, verweigern EU-Länder die Betreuung von
Obdachlosen aus anderen Mitgliedsländern.
Was ist nun gerecht? Die Vermeidung von "Sozialtourismus", oder die
Hilfe für Obdachlose, egal woher sie kommen? Nun, in Wahrheit beides.
Die Erkenntnis bringt nix, denn bei diesen Außentemperaturen eine
Nacht im Freien zu verbringen ist für Obdachlose aus Polen nicht
weniger gesundheitsgefährdend als für österreichische Staatsbürger.
Irgendwas müssen sich die Stadt Wien und die privaten
Hilfsorganisationen einfallen lassen - auf der Uni können die
Menschen nicht bleiben.
Die Studierenden sind mit ihrem Protest damit einem Missstand auf die
Spur gekommen, der ihrem eigenen gar nicht so unähnlich ist: Viele
Deutsche, deren Notendurchschnitt im Heimatland ein Studium
verhindern würde, weichen nach Österreich aus und füllen hier die
Hörsäle. Bildungs-Tourismus also. Für nationale oder städtische
Einrichtungen ist das kaum noch zu handhaben. Die Betroffenen selbst
- egal ob Obdachloser oder Student - können eigentlich auch nichts
dafür.
Im Sozial- wie im Bildungs-Tourismus, der sich im Audimax derzeit
fokussiert, wird eindrucksvoll bewiesen, dass die Europäische Union
bisher viel zu feig war. Zur Bewegungs-Freiheit innerhalb Europas
gehören - genau für solche Beispiele - ordentliche europäische
Ausgleichsmechanismen. Deutschland soll Österreichs Universitäten
mitfinanzieren. Und der Regionalfonds der EU - bald unter Leitung von
Johannes Hahn - soll für eine adäquate soziale Betreuung in den
ärmeren Ländern sorgen. Bisher meinte die EU: Okay, das geht uns
nichts an, wohlverpackt in Richtlinien. Werner Faymann hat vom
sozialen, solidarischen Europa gesprochen. Im Wiener Audimax zeigen
sich gleich zwei Betätigungsfelder dafür.
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