- 06.11.2009, 09:10:19
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IFK-Vortrag: "Massenhaftes Faszinosum" Familienstammbäume
Vom kauzigen Pensionisten-Hobby zur Detektivarbeit im Internet
Wien (OTS) - Noch vor einigen Jahren waren Genealogen für
Archivare ziemlich klar umrissen: Männlich, bereits im Ruhestand,
politisch eher rechts, nicht selten auf der Suche nach einem
"Adeligen" in der eigenen, meist bescheidenen Familiengeschichte und
vor allem Zeit raubend. Kommenden Montag (9.11.) räumt Elisabeth Timm
mit diesen Vorstellungen gründlich auf. Ihren Thesen zufolge hat sich
das ehemalige Pensionisten-Hobby "Familienstammbaum" soziologisch
markant verändert. "Aus alt mach jung" könnte man den Trend
beschreiben, Timm nutzt für den heutigen Trend den Begriff der
"entgrenzten Genealogie".
Die studierte Kulturwissenschaftlerin, die gerade mit ihrer
Habilitation beschäftigt ist und am Internationalen Forschungszentrum
Kulturwissenschaften (IFK) bis Jänner 2010 ein viermonatiges
Fellowship absolviert, spricht von einem gegenwärtigen "starken
Andrang" beim Thema Familienherkunft und Genealogie. Steigende
Archiv-Nutzerzahlen, prosperierende Mitgliedschaften in
entsprechenden Vereinen - in Wien wurde übrigens 1870 der
zweitälteste genealogische Verein gegründet
("Heraldisch-Genealogische Gesellschaft Adler") -, vor allem aber
diesbezügliche genutzte Web 2.0-Applikationen zeigen, dass die Frage
"Wo komme ich her?" längst ihre sozialkonservative Note verloren hat
und einer neuen, offenen, neugierigen Zugehensweise Platz gemacht
hat.
Die Gründe zum detektivischen Forschen, welches nicht selten der
Reisetätigkeit des Symbologen Robert Langdon in Dan Browns "Da Vinci
Code" gleichkommt, sind unterschiedlich, vor allem aber individuell.
Todesfälle, gehütete Familiengeheimnisse und natürlich auch das
Älterwerden finden sich häufig darunter. Für Timm, die aus
Zeitgründen selbst noch keine entsprechende Familienreise ins 19.
oder 18. Jahrhundert unternommen hat, leisten die Bäumepflanzer der
Geschichte jedenfalls wichtige Arbeit. Nicht zuletzt aufgrund
technischer PC-Möglichkeiten konnten die ehemals umständlichen und
Zeit raubenden Laien bereits so manches Archiv für sich gewinnen. Der
Grund: Liegen gebliebene Aktenberge werden datenmäßig bei der eigenen
Familien-Recherche erfasst und fließen in den Wissensbestand des
jeweiligen Archivs zurück, also eine Win-win-Situation für
akademische Wissenschaft und eintippend-suchende Laien-Community.
Die Spannbreite der Genealogie macht Timm kommenden Montag am
Beispiel der "steirischen Volksgenealogie" fest. In den 1920er Jahren
mühten sich sozial-konservative Pfarrer in der grünen Mark erstmals
mit ihren Kirchenregistern ab, in der vagen Hoffnung, mit den "Seit
eh und je im Dorf verwurzelt"-Ergebnissen volkspädagogische Wälle
gegenüber der Sozialdemokratie und dem verlockenden Ruf in die
Großstadt zu errichten. Ihre Ergebnisse brachten freilich anders zu
Tage, nämlich oftmals binnenösterreichische Migrationserzählungen,
die so gar nicht zum frommen Wunschdenken passen wollten. Den
zweiten Teil des Vortrages widmet die 40jährige Wissenschaftlerin dem
gegenwärtigen "Woher komme ich?"-Boom im Internet.
Aus den Käuzen mit fragwürdigen Motiven ist eine Bewegung
geworden, die sich nicht nur selbst Hilfestellung gibt, sondern auch
Quellenkunde vermittelt. Wollte man früher "seinen Adeligen" im
mühsam zusammen getragenen Familienstammbaum finden, geht es heute
oftmals ums Kennenlernen von "über drei Ecken miteinander verwandten"
Fremden. Erinnert an Facebook, nur deutlich gehaltvoller und
aufwendiger.
Vortrag von Elisabeth Timm "Entgrenzte Genealogien -
Verwandtschaft-Machen zwischen populärer Praxis und Techniken der
Biomacht seit dem 19. Jahrhundert", IFK (1., Reichsratstrasse 17),
Termin: 9. November; Beginn: 18.00 Uhr, Freier Eintritt
Infos auch unter: www.ifk.ac.at; www.adler-wien.at. (Schluss) hch
Rückfragehinweis:
PID-Rathauskorrespondenz: www.wien.at/vtx/vtx-rk-xlink/ Mag. Hans-Christian Heintschel Presse- und Informationsdienst der Stadt Wien (MA 53) Telefon: 01 4000-81082 Mobil: 0676 8118 81082 E-Mail: hc.heintschel@wien.gv.at
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