• 10.07.2009, 18:22:07
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"Die Presse"-LEITARTIKEL: Hat Werner Faymann einen Traum?, von Michael Fleischhacker

Ausgabe vom 11.07.2009

Wien (OTS) - Ein Jahr nach seinem "Krone"-Brief ereilte den
Kanzler der Fluch der bösen Tat. Das könnte eine Chance sein.

Vor etwas mehr als einem Jahr legte Werner Faymann die Basis für
seinen bisher größten politischen Erfolg: Gerade als neuer SPÖ-Chef
inthronisiert, schrieb er gemeinsam mit Noch-Bundeskanzler Alfred
Gusenbauer einen Brief an Hans Dichand, den Herausgeber der "Kronen
Zeitung". Darin schloss er sich Dichands Forderung an, die
österreichische Zustimmung zu Änderungen der Europäischen Verträge
künftig vom Ergebnis einer Volksabstimmung abhängig zu machen. Die
Gegenleistung bestand in einer atemberaubenden Kampagne der größten
Zeitung des Landes für den Kanzlerkandidaten der SPÖ. Noch wichtiger
als die Mobilisierung für Faymann und die SPÖ war die Demobilisierung
potenzieller ÖVP-Wähler durch eine ziemlich ungustiöse Kampagne gegen
die Vertreter der "alten" ÖVP, vor allem Ursula Plassnik und Wolfgang
Schüssel. So gelang es der SPÖ, trotz des schlechtesten
Nationalratswahlergebnisses aller Zeiten stärkste Partei zu werden.

Ziemlich genau ein Jahr danach traf den nunmehrigen Bundeskanzler
Werner Faymann der Fluch der bösen Tat: Hans Dichand überlegte es
sich anders und erklärte in einem Interview für die Fernsehbeilage
seines Blattes, er erwarte sich die "große Wendung", die er für
Österreich herbeisehne, von einer neuen personellen Konstellation:
Erwin Pröll solle anstelle von Heinz Fischer Bundespräsident werden
und Josef Pröll anstelle von Werner Faymann Bundeskanzler. Nach
übereinstimmender Überlieferung mehrerer Ohrenzeugen begründete Hans
Dichand seinen Sinneswandel damit, dass Faymann und andere
SPÖ-Regierungsmitglieder das "Krone"-Konkurrenzblatt "Österreich"
durch großzügige finanzielle Zuwendungen künstlich am Leben
erhielten.

Seither hat Josef Pröll, schon im letzten Wahlkampf Nutznießer der
"Krone"-Kampagne gegen die "alte" ÖVP und Wunsch-Vizekanzler des
Herausgebers, Oberwasser: Er positioniert sich als treibende Kraft
der Regierung, genießt die neue Konstellation sichtlich, versucht
aber zugleich, den Regierungspartner damit nicht zu überfordern.

Viel mehr, und das ist ein niederschmetternder Befund, ist zur
Performance der Koalitionsregierung in ihrem ersten Halbjahr nicht zu
sagen: Was sie tut und was sie nicht tut, wie sie ihre Aktivitäten
kommuniziert, ist ausschließlich darauf abgestellt, wie sich die
österreichischen Boulevardmedien im Wettlauf um Aufmerksamkeit und
Geld positionieren.

Die österreichische Politik ist also auf dem Boulevard angekommen. Es
wäre naiv und absurd, so zu tun, als ob man ohne die Massenmedien je
hätte Politik machen können. Schon immer war es für Regierungen
unumgänglich, Zustimmung für das zu erkämpfen, was sie nach einem
qualifizierten Austausch von Argumenten als richtig, notwendig und
machbar erkannt haben. Das ging nie ohne die Massenmedien, und es
ging nie ohne Kompromisse und ohne Vereinfachungen in der
Darstellung. Aber die gegenwärtige österreichische Politik macht sich
mit dem Versuch lächerlich, das, was ihr vom Boulevard gegen das
brüchige Versprechen des Machterhalts abverlangt wird, wie Politik
aussehen zu lassen.

Werner Faymann wird die Verantwortung dafür, dass er diese Spirale in
Gang gesetzt hat, nicht mehr loswerden. Dass er in der öffentlichen
Wahrnehmung vom smarten Machtjongleur zur tragischen Figur des
Zauberlehrlings geworden ist, der die Geister, die er rief, nun nicht
mehr loswird, ist die gerechte Strafe dafür: Da und dort wird bereits
Mitleid laut, und das war schon immer die schlimmste Form der
Demütigung.

Vielleicht ist die Krise, die der Bundeskanzler jetzt erkennbar
durchlebt, aber auch eine ganz persönliche Chance. Er könnte zeigen,
dass der Vorwurf, er sei immer nur ein Nutznießer der engen
persönlichen Bindung an einen mächtigen Zeitungsmann gewesen, eine
Fehleinschätzung ist. Er könnte den öffentlichen Liebesentzug durch
seinen allmächtigen Gönner und "Onkel" dazu nutzen, die Welt mit
konkreten Vorstellungen von dem zu überraschen, was Politik seiner
Meinung nach in einer Krisensituation leisten kann. Er könnte seinen
Wahlslogan "Genug gestritten" hinter sich lassen und für seine
Vorstellungen von Politik und Gesellschaft kämpfen. Er könnte etwas
riskieren.

Vor einem Jahr hat Werner Faymann einen Brief an den Sandmann im
"Krone"-Hochhaus geschrieben. Danach verfiel das Land einmal mehr in
großkoalitionären Tiefschlaf. Nach dem unsanften Erwachen der
vergangenen Wochen möchte man vom Bundeskanzler wissen, ob er einen
Traum hat.

Rückfragehinweis:
chefvomdienst@diepresse.com

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