• 29.01.2008, 13:28:12
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  • OTS0192 OTW0192

LBI HTA-Studie zur HPV-Impfung

Gutachten des LBI HTA jetzt öffentlich - Erwartungen und Realität

Wien (OTS) - Infolge der aktuell umfangreichen
Medienberichterstattung zum Thema HPV-Impfung fasst das Ludwig
Boltzmann Institut für Health Technology Assessment (LBI HTA) in
Beantwortung zahlreicher Presseanfragen an die Studienautorin und
stv. Institutsleiterin, Dr. Ingrid Zechmeister, wesentliche
Studieninhalte wie folgt zusammen:

1: Die Zervixkarzinom-Rate ist in Österreich rückläufig und im
Vergleich zu anderen Krebsarten niedrig - im Europavergleich jedoch
hoch.

Eine Infektion mit humanen Papillomaviren (HP-Viren) führt - neben
anderen Erkrankungen - in seltenen Fällen zu Gebärmutterhalskrebs.
Seit den 1980er Jahren ist die Anzahl der Krebsneuerkrankungen und
-todesfälle rückläufig. Dieser epidemologisch relevante Erfolg wird
der Früherkennung durch Pap-Abstriche zugeschrieben.

In Österreich macht das Zervixkarzinom etwa 3 % aller
Krebsneuerkrankungen und 2 % aller krebsbedingten Todesfälle bei
Frauen aus. Im westeuropäischen Vergleich jedoch hat Österreich die
dritthöchste Rate an Neuerkrankungen und Todesfällen sowie
vergleichsweise niedrigere Teilnahmeraten an der Früherkennung.

2: Die HPV-Impfung reduziert in Studien Karzinomvorstufen -
unbekannt bleiben ihre langfristigen Effekte sowie sonstige
Auswirkungen (z.B. Screeningverhalten).

Die Impfung gegen Hoch-Risiko-HP-Viren weckt laut publizierten
Studien die Hoffnung, dadurch Zervixkarzinome weiter zu reduzieren:
An 16- bis 24-jährigen Frauen konnte in einem maximal 5-jährigen
Beobachtungszeitraum gezeigt werden, dass durch die Impfung die
Zervixkarzinomvorstufen jener beiden Hoch-Risiko-HPV-Typen (16, 18),
gegen die die Impfung wirkt, verhindert werden. Offen ist jedoch, wie
viele Vorstufen insgesamt (unabhängig vom HPV-Typ) und wie viele
Zervixkarzinome tatsächlich verhindert werden, wie lange die Impfung
wirkt, ob/wie sich das Virusverhalten verändert, ob/wie sich das
Verhalten der geimpften Personen verändert (z.B. weniger Teilnahmen
am Screening zur Früherkennung).

3: Prognose bis 2060 für Österreich zeigt: Impfung von Mädchen
reduziert Krebsfälle im besten Fall im Jahr 2060 um 27 % (3,9 pro
100.000 Frauen bzw. 120 Frauen) und Todesfälle um 32 % (1,3 pro
100.000 oder 41 Frauen). Trotz Impfung erkranken im Jahr 2060 fast
320 Frauen und versterben etwa 85.

Erste Effekte der Gebärmutterhalsimpfung zeigen sich erst nach 20
Jahren und steigen dann langsam an. Laut vom LBI HTA errechneter
Prognose können in Österreich mit einer Impfung 12-jähriger Mädchen
von 2008 bis 2060 im besten Fall - d.h. bei Annahmen von 85 %
Teilnahme, 100 % Wirksamkeit und lebenslangem Schutz -
durchschnittlich (also über 52 Jahre gerechnet) 10 % weniger neue
Gebärmutterhalskrebsfälle und durchschnittlich 13 % weniger
Todesfälle durch Gebärmutterhalskrebs erreicht werden. Das sind
insgesamt in 52 Jahren etwa 2.500 (1,4 pro 100.000 Frauen) neue Fälle
und 870 (0,5 pro 100.000) Todesfälle weniger als nach derzeitiger
Screeningpraxis. Im besten Fall erkranken im Jahr 2060 um 27 % (3,9
pro 100.000 Frauen bzw. 120 Frauen) weniger und es kommt zu 32 % (1,3
pro 100.000 oder 41 Frauen) weniger Todesfällen. Dennoch erkranken im
Jahr 2060 fast 320 Frauen und versterben etwa 85.

Trotz Impfung würden daher in den nächsten 52 Jahren weiterhin
etwa 21.800 Frauen erkranken und rund 6.000 Frauen versterben. Die
zusätzliche Impfung von Buben verbessert den Effekt auf maximal 3.400
weniger Neuerkrankungen und 1.300 weniger Todesfälle.

4: Die Impfung von Mädchen kostet jährlich rund Euro 15 Mio. -
Insgesamt Euro 750 Mio. bis 2060 - ca. doppelt so viel, wenn auch
Buben geimpft werden. Das Kosten¬effektivitätsver¬hältnis (d.h. jene
Kosten, die aufgewandt werden müssen, um die Lebenserwartung um ein
Jahr zu erhöhen) pro gewonnenes Lebensjahr beträgt damit Euro 64.000
bis Euro 311.000.

Die Impfung kostet inklusive einer Auffrischung nach derzeitigem
Einkaufspreis je nach Durchimpfungsrate pro Jahr etwa Euro 12 bis 17
Mio. wenn nur Mädchen geimpft werden und etwa Euro 25 bis 34 Mio.
wenn auch Buben geimpft werden. Das sind bis 2060 rund Euro 650 Mio.
bis Euro 870 Mio. wenn nur Mädchen geimpft werden bzw. Euro 1,3 Mrd.
bis 1,8 Mrd. wenn auch Buben geimpft werden. Etwa ein Drittel bis die
Hälfte dieser Ausgaben könnten durch potenzielle Einsparungen bei
Zervixkarzinombehandlungen kompensiert werden. Die Impfung von
Mädchen zusätzlich zum Screening ist im Vergleich zum Screening ohne
Impfung mit Euro 64.000 pro gewonnenes Lebensjahr verbunden. Die
zusätzliche Impfung von Buben ergibt ein
Kosteneffektivitätsverhältnis von Euro 311.000 pro gewonnenes
Lebensjahr, da die zusätzlichen Kosten im Vergleich zu den
Gesundheitseffekten ungleich höher sind.

5. Mit weiteren Effekten nach 2060 ist zu rechnen, die Impfung
erzielt jedoch keinen Quantensprung im Gesundheitseffekt.
Gesellschaftspolitisch zu diskutieren ist:

- soll dieses zusätzliche Geld für diese Gesundheitseffekte 
   aufgewandt werden oder kann dasselbe Geld, anders eingesetzt, 
   größere Gesundheitseffekte bewirken?

 - mögliche Alternativen: kann ein ähnlicher Effekt auch z.B. durch 
   Verbesserung der Früherkennung mit vergleichsweise weniger Geld 
   erreicht werden?

Die Prognose liegt deutlich unter den bislang publizierten
Erwartungen, mit einer Impfung bis zu 70 % der
Gebärmutterhalskrebsfälle zu verhindern. Anders als in sogenannten
Entwicklungsländern kann sie in Industrieländern bei bereits
niedrigem Krebs-Ausgangsniveau keinen Quantensprung im
Gesundheitseffekt leisten. Laut LBI HTA-Modell verringert die
Österreichweite Impfung von Mädchen die Karzinominzidenz im
beobachteten Zeitraum durchschnittlich um maximal 10 %, die
Mortalität um durchschnittlich maximal 13 %, im besten Fall nach 52
Jahren die Inzidenz um 27 %, die Todesfälle um 32 %.

Ob dieser Effekt in Österreich die jährlichen Zusatzkosten wert
ist, ist eine Frage, die es gesellschaftspolitisch zu diskutieren
gilt. Obgleich nach 2060 mit weiteren Effekten durch eine Impfung zu
rechnen ist, sind dennoch Alternativen zu diskutieren: Zu klären ist,
ob ein ähnlicher Gesundheitseffekt auch durch Qualitätsverbesserung
in der Früherkennung bei vergleichsweise deutlich weniger notwendigen
Ressourcen erreicht werden kann oder ob mit dem selben Geld - anders
eingesetzt - ein größerer Gesundheitseffekt erreicht werden kann.

Für die Studienautorin, Dr. Ingrid Zechmeister, empfiehlt sich im
Falle einer öffentlich finanzierten Impfung jedenfalls, mit den
Herstellern niedrigere Preise zu verhandeln. Außerdem: "Unabhängig
von jedem Preis-Leistungsverhältnis bleiben derzeit bestehende
Unsicherheiten zur langfristigen Wirkung der Impfung aufrecht",
schließt Zechmeister.

Rationale Impfpolitik im internationalen Kontext

Als Begleitung zum aktuellen HPV-Gutachten wurde vom LBI HTA ein
Dokument zur Unterstützung zukünftiger Impfentscheidungen erarbeitet.
Es soll einen Beitrag zu rationalen Impfentscheidungsprozessen
leisten. Vorgeschlagen wird eine stufenweise Vorgehensweise: zunächst
wird die Größenordung und Public Health Relevanz des
Gesundheitsproblems sowie gute und bestehende Alternativen geprüft;
sodann wird die Krankheit und ihre Ausprägungen gegen die geimpft
werden soll, analysiert; schließlich wird das Wissen um die
Sicherheit des Impfstoffes sowie die Kosten-Effektivitäts-Relation
festgestellt.

Das Dokument "Rationale Impfpolitik" will die internationale
Diskussion forcieren, ist deshalb in englischer Sprache geschrieben
und kommt in ca. 10 Tagen auf der LBI HTA Website zur
Veröffentlichung. - Nähere Auskünfte: Dr. Claudia Wild, Leiterin des
Ludwig Boltzmann Instituts für Health Technology Assessment.

Über die Ludwig Boltzmann Gesellschaft: Forschung für die Menschen

Die 1961 gegründete Ludwig Boltzmann Gesellschaft (LBG) ist eine
private Träger¬organisation für Forschungseinrichtungen in Österreich
und befasst sich mit medizinischen sowie geistes-, sozial- und
kulturwissenschaftlichen Fragestellungen

Die LBG untergliedert sich in Institute sowie Forschungscluster und
beschäftigt insgesamt mehr als 260 Personen.

Rückfragehinweis:

Ludwig Boltzmann Institut für Health Technology Assessment 
   Garnisongasse 7/rechte Stiege Mezzanin (Top 20), 1090 Wien 
   Dr. Claudia Wild, Institutsleitung - DW 12
   Dr. Ingrid Zechmeister, Autorin - DW 10 
   Dr. Bernhard Martin, Wissenschaftskommunikation - DW 21
   Tel.: +43 (0)1 236 8119
   Fax: +43 (0)1 236 8119 99 
   Homepage: http://hta.lbg.ac.at

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | LBG

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