• 30.06.2004, 12:00:00
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Jelinek-Neuwirth-Oper zum "Fall Wurst" abermals vor dem Scheitern.

Die Autorin: "Nie wieder Oper!"

Wien (OTS) - Die Oper "Der Fall Hans W." von Elfriede Jelinek
(Libretto) und Olga Neuwirth steht zum zweiten Mal vor der Absage.
Jelinek beendet deshalb ihre Tätigkeit als Librettistin. Das
berichtet NEWS in seiner morgen erscheinenden Ausgabe. Die Oper, ein
Auiftragswerk der Salzburger Festspiele für das Mozart-Jahr 2006,
wurde vor einem Jahr unter beträchtlicher öffentlicher Anteilnahme
wegen Geldmangels storniert. Koproduzent Gérard Mortier (Pariser
Oper) fand daraufhin die Wiener Staatsoper als Koproduzenten. Das
Werk, von dem vorerst nur die erste Fassung des Librettos existiert,
sollte 2007 uraufgeführt werden.

Nun zitiert NEWS aus einem Fax Mortiers an Neuwirth, in dem dieser
Vorbehalte gegen das Libretto äußert. Diese würden von Holender sowie
von den avisierten Regisseuren Michael Haneke ("Die
Klavierspielerin") und Jossi Wieler geteilt. Mortier: "Das heißt im
Klartext, dass ich zur Zeit noch immer allein bin, und da ist mir die
Investierung im Hinblick auf das Libretto zu groß.. (...)
Zusammengefasst würde ich also mit Ihnen sehr gern ein Projekt
zustande bringen, aber würde doch am liebsten einen anderen Weg
gehen." Mortiers Begründung: "Das Thema der Pädophilie ist meines
Erachtens zur Zeit total ausgeschöpft."

Jelineks Libretto behandelt laut NEWS den Fall des Klagenfurter
Pädiatrie-Professors Franz Wurst, der im Vorjahr wegen Anstiftung zum
Mord an seiner Ehefrau und Missbrauch von Kindern rechtskräftig zu 17
Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Das erprobte Duo ("Bählamms Fest",
"Lost Highway") nahm sich das Thema vor, weil die Salzburger
Festspiele thematisch Passendes zum Mozart-Jahr gefordert hatten.
"Der Fall W." ist eine satirische "Don Giovanni"-Paraphrase mit dem
Kinderarzt als Don Juan, der ermordeten Ehefrau als weiblichem Komtur
und Wursts Helfer als Leporello und Lustobjekt. Ursprünglich wollten
Jelinek und Neuwirth eine Oper zum Fall des NS-Psychiaters Heinrich
Gross schreiben, disponierten aber auf Wunsch der Festspiele um.

Elfriede Jelinek will nun laut NEWS nie wieder als Librettistin
arbeiten: "Ich will das Wort Oper nicht mehr hören. Wenn es einer in
meiner Nähe ausspricht, ohrfeige ich ihn. Und wenn ich es in der Nähe
von jemandem ausspreche, darf derjenige mich ohrfeigen."

Olga Neuwirth auf NEWS-Anfrage: "Ich muss erst sehen, was Mortier
mit ,einen anderen Weg gehen’ meint. Auf jeden Fall aber bin ich mit
Elfriede menschlich und künstlerisch solidarisch. Ich finde das
Libretto großartig." Am größten sei ihre Enttäuschung gegenüber
Haneke und Wieler: "Was ist das für eine Zeit, in der zwei von mir
sehr geschätzte Regisseure die Macht haben, mit ihrem Werturteil ein
Opernprojekt zu Fall zu bringen?" Konklusio: "Ich vermute, man hat
Angst vor dem Skandal, weil das Thema ,Pädophilie’ von ähnlich
brennender Aktualität ist wie seinerzeit das des Womanizers Don
Giovanni. Als Künstler wird man doch die die Realität analysieren und
allgemeine gesellschaftliche Phänomene problematisieren dürfen!"

Wiens Staatsoperndirektor Holender bietet in NEWS einen Kompromiss
an: "Nicht die Neuwirth-Oper wurde von Mortier abgelehnt, nur das
Libretto. Ich habe ihn in Paris getroffen, und er sagte mir: Er fände
den Text nicht gut und sehe nicht ein, dass wir etwas bezahlen
sollten, was der Salzburger Intendant Ruzicka den beiden eingeredet
hat. Die Absagen der Regisseure hätten ihn bestärkt. Ich habe,
ehrlich gestanden, mit dem Text auch meine Schwierigkeiten. Aber das
Thema Heinrich Gross, das ursprünglich zur Diskussion gestanden ist,
interessiert mich sehr. Ich möchte das Frau Neuwirth im Herbst
vorschlagen."

Jelinek: "Ich werde nicht die Librettistin sein. Ich bin die
einzige, die bisher etwas für das Projekt gearbeitet hat. Klagen kann
ich nicht, weil es keinen Auftrag gab. Also bleibt es dabei:
Ohrfeigen für jeden, der in meiner Gegenwart das Wort Oper
ausspricht."

Mortiers Büro meldete sich nach Drucklegung bei NEWS und betonte,
es gebe keine Absage, aber Vorbehalte.

OTS0148    2004-06-30/12:00

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | NES

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