• 10.02.2004, 11:37:58
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Bundespräsident überreicht Ehrenzeichen und Dekrete an Mitglieder der Wiener Philharmoniker (Rede im Wortlaut)

Wien (OTS) - Meine Damen und Herren!

Die Wiener Philharmoniker in meinen Amtsräumen zu begrüßen, bedeutet
für mich stets einen Höhepunkt im Jahresrhythmus. Und in meiner
nunmehr 12-jährigen Amtszeit habe ich auch jedes Jahr persönlich -
und mit besonderer Freude - den Dank unseres Staates, der Republik
Österreich, durch Ehrenzeichen und Dekrete zum Ausdruck gebracht.

Nun wird in wenigen Wochen ein historisches Ereignis stattfinden, das
nicht nur politisch und wirtschaftlich eine Weichenstellung für ganz
Europa bedeutet, sondern auch kulturell, geistesgeschichtlich und
künstlerisch von einschneidender Bedeutung sein wird - und das vor
allem für Österreich. Ich spreche vom Beitritt von vier unserer
nördlichen, östlichen und südlichen Nachbarstaaten zur Europäischen
Union, der am kommenden 1. Mai erfolgen wird.

Dieser historische Moment markiert das Ende einer schmerzvollen
Trennung Europas durch grausame Grenzen; und erst an diesem Tag endet
wohl auch die Ära des Kalten Krieges - eine Ära der ideologischen
Verhetzung und des aufgezwungenen Misstrauens.

Ich meine überdies, dass dieser Zeitpunkt auch das Ende des
Nationalismus und Chauvinismus sein sollte - beides Irrlehren, die
uns im 20. Jahrhundert Isolierung, Ausgrenzung und letztlich zwei
Weltkriege beschert haben. Die Menschen in Mitteleuropa haben nämlich
seit 1914, und verschärft nach 1945, leidvoll erfahren müssen, was
das Abschneiden geistiger Wurzeln, das Kappen von
Familienbeziehungen, die Vertreibung von Haus und Hof bedeutet. Wobei
die kulturellen Verkrüppelungen für uns Österreicher ebenso
schmerzhaft war wie für die Tschechen, Slowaken, Ungarn und Slowenen.
Letztlich bedeuteten Nationalismus und Chauvinismus für uns
Österreicher - wie für unsere Nachbarn - nichts anderes als die
Amputation unserer gemeinsamen Geschichte und damit die Zerstörung
der seelischen Gemeinsamkeit Mitteleuropas.

Nun ist mir erst dieser Tage wieder jenes berührende Buch von Stefan
Zweig in die Hände gefallen, das er im Exil - auf der Flucht vor der
Barbarei - verfasst hat und in dem er die "Welt von Gestern", seine
Jugend in Wien vor dem Unglücksjahr 1914, beschrieb.

Da heißt es: "In kaum einer anderen Stadt Europas war der Drang zum
Kulturellen so leidenschaftlich wie in Wien. Gerade weil die alte
Monarchie, weil Österreich ...in seinen militärischen Aktionen nicht
besonders erfolgreich gewesen war, hatte sich der heimatliche Stolz
dem Wunsch nach künstlerischer Vorherrschaft zugewandt...

Hier hat das unsterbliche Siebengestirn der Musik über die Welt
geleuchtet, Gluck, Haydn und Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms und
Johann Strauß - hier waren alle Ströme europäischer Kultur
zusammengeflossen... Im Volk war das Deutsche dem Slawischen, dem
Ungarischen, Italienischem im Blute verbunden... und es war das
eigentliche Genie dieser Stadt der Musik, alle diese Kontraste
harmonisch aufzulösen in ein Neues und Eigenartiges, in das
Österreichische, Wienerische...
Diese Stadt zog die verschiedensten Kräfte an sich, entspannte,
lockerte, begünstige sie ...und unbewusst wurde jeder Bürger zum
Übernationalen, zum Kosmopolitischen, zum Weltbürger erzogen."

Ich glaube, dass diese Sätze - die vor etwas mehr als 60 Jahren
geschrieben wurden - wahrscheinlich all das zusammenfassen, was über
das "Geheimnis" der Musik in Wien philosophiert worden ist; und dass
Stefan Zweig hier mehr als deutlich gemacht hat, dass die Musik Weite
und Offenheit braucht, dass sich Musik nicht nach dem Reisepass
richten darf und dass Musik im Grunde die stärkste Waffe im Kampf
gegen Engstirnigkeit, Unduldsamkeit und Provinzialismus ist.

Jetzt - im Jahr 2004 - sind wir es unseren Kindern schuldig, dass wir
die einmalige historische Chance nützen, wieder dort anzuknüpfen, wo
wir uns vor mehr als 80 Jahren voneinander verabschiedet haben. Das
aber bedeutet für die kulturelle Landkarte Mitteleuropas,

•   dass Österreich wieder zum natürlichen Schwerpunkt einer
Großregion lebendiger künstlerischer Kreativität werden kann;
•   dass Land und Hauptstadt zu einem nach allen Seiten offenen
Mittelpunkt für Ästhetik und guten Geschmack werden sollen;
•   und dass Wien zu jenem Magnet werden muss, der die Begabtesten

und Fähigsten, die Mobilsten und Innovativsten zwischen Ostsee und
Adria anzieht.

Meine Damen und Herren!

Ich meine ganz konkret, dass den Wiener Philharmonikern daher auch
und gerade in der Zukunft für unser Land wieder und weiterhin eine
ganz außerordentliche Rolle zukommt. Sie besitzen jene Ausstrahlung,
die im Musikalischen das Höchste und Beste repräsentiert. Auch wenn
man mit Superlativen sparsam sein soll, so umschreibt das Adjektiv
"unverzichtbar" doch wohl am treffendsten Ihre einzigartige Bedeutung
für das Selbstverständnis Österreichs - so wie Ihre Strahlkraft für
Publikum und Kulturbetrieb in der ganzen Welt.

Deshalb sage ich heute dem ganzen Orchester im Namen unserer Republik
ein herzliches "Dankeschön" - als Bundespräsident, aber zugleich als
Musikfreund und Österreicher, der - wie alle unserer Landesleute -
stolz auf Sie ist.

Und ich bitte Sie, die Ehrenzeichen und Verleihungsdekrete als
äußeres Zeichen dieses Dankes entgegen zu nehmen.
So verleihe ich Ihnen,

•   Herr Professor Gabriel Madas, das Österreichische Ehrenkreuz für
Wissenschaft und Kunst;
•   Ihnen, Herr Universitätsprofessor Johann Hindler,
•   Ihnen, Herr Mag. Erhard Litschauer
•   und Ihnen, Herr Mag. Gerhard Kaufmann - das Silberne Ehrenzeichen
für Verdienste um die Republik Österreich.

Es ist mir überdies eine Freude, den Berufstitel "Professor"

•   an Herr Hubert Kroisamer,
•   an Herrn Erich Schagerl
•   und an Sie, Herr René Staar zu verleihen.

Wie immer muss ich mich aber auch bei jenen Herren bedanken, die uns
heute die kleine Feierstunde krönen und in diese Räume Johann Strauß
hereingezaubert haben. Ich freue mich schon jetzt auch auf die
"Professoren-Polka" des neubestellten Herrn Professors Schagerl.

"Philharmonie" bedeutet im strengen Wortsinn "Liebe zum Wohlklang" -
für uns aber im übertragenen Sinn "Freude am Zuhören".

So bitte ich Sie alle weiterhin um Ihre Treue zu Österreich und um
Ihren Einsatz für ein lebendiges, schöpferisches und fruchtbares
Europa. Und in diesem Geist gratuliere ich nochmals den
Ausgezeichneten herzlich - und bitte Sie, auch den anderen
Mitgliedern des Orchesters meine herzlichsten Grüße zu übermitteln.
Herzlichen Glückwunsch!

Mit diesen Grüßen verbinde ich auch meine Gratulation zur Verleihung
des weltweit anerkannten Grammy-Awards in Los Angeles für die
Einspielung von Gustav Mahlers 3. Symphonie gemeinsam mit den Wiener
Sängerknaben und dem Wiener Singverein. Auch dazu herzlichen
Glückwunsch.

OTS0091    2004-02-10/11:37

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