• 06.02.2002, 08:04:41
  • /
  • OTS0008 OTW0008

DER STANDARD-Kommentar: "Obrigkeitsstaat statt Grundrechte: Justizpolitik verweigert beharrlich das Recht auf ein faires Verfahren"

von Katharina Krawagna-Pfeifer - Erscheinungstag 6.2.2002

Wien (OTS) - In Österreich ist das rechtsstaatliche Bewusstsein
unterentwickelt. Das hat sich zuletzt bei der Diskussion um den
Verfassungsgerichtshof gezeigt. Kein Wunder, dass daher auch den
Grundrechten hierzulande geringer Stellenwert eingeräumt wird.
Beschämend für die österreichischen Behörden hat dies nun der
Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg schwarz auf
weiß bestätigt. Dieser hat, wie der Standard berichtete, einer Klage
gegen die Republik stattgegeben.

Das Urteil gegen die Republik besagt salopp ausgedrückt nichts
anderes, als dass Beschuldigten in Österreich wesentliche Rechte, die
zur Verteidigung dienen, vorenthalten werden. Eines davon ist, dass
sich Beschuldigte - die wohlgemerkt bis zur rechtskräftigen
Verurteilung als unschuldig zu gelten haben - während der U-Haft
nicht uneingeschränkt mit ihren Anwälten unterhalten können.

Wenn nämlich der "Beschuldigte auch oder ausschließlich wegen
Verdunkelungsgefahr in Haft ist, so kann der Untersuchungsrichter
selbst bis zur Mitteilung der Anklageschrift der Besprechung mit dem
Verteidiger zum Zweck der Überwachung des Gesprächsinhaltes
beiwohnen", heißt es in der vom Straßburger Gerichtshof beanstandeten
Bestimmung der Strafprozessordnung. Da Verdunkelungsgefahr relativ
schnell in einem Verfahren gegeben sein kann, ist somit der
ungestörte Gedankenaustausch zwischen Beschuldigtem und Verteidiger
relativ leicht zu unterbinden.

Dass das Grundrecht auf ein faires Verfahren nicht besonders genau
genommen wird, zeigt auch der Entwurf zur Strafprozessordnung, der
vom Justizministerium vorgelegt wurde. Er beweist, dass die Rechte
der Beschuldigten bereits vor Verhängung der U- Haft äußerst dürftig
sind. Laut Entwurf ist zwar "jeder Beschuldigte durch die
Kriminalpolizei oder die Staatsanwaltschaft sobald wie möglich über
das gegen ihn geführte Ermittlungsverfahren und den gegen ihn
bestehenden Tatverdacht sowie über seine wesentlichen Rechte im
Verfahren zu informieren. Dies darf nur so lange unterbleiben, als
dadurch der Zweck der Ermittlungen gefährdet wird."

Im Umkehrschluss heißt das, dass der Beschuldigte weder informiert
noch über seine Rechte aufgeklärt werden muss, wenn "der Zweck der
Ermittlungen gefährdet wird". Die "Ermittlungsgefährdung" lässt sich
jedoch mindestens so rasch, wenn nicht rascher als die
Verdunkelungsgefahr bei U-Häftlingen feststellen, und der
Beschuldigte muss in diesen Fällen sehen, wo er alleine bleibt.

Ähnlich skandalös sind die Bestimmungen über die Vernehmung von
Beschuldigten formuliert, für die es derzeit überhaupt keine Regelung
gibt - also reine Willkür herrscht. Selbst Montenegro hat ein
moderneres Gesetz. Aber statt einen großen Missstand zu beseitigen,
gibt es in Österreich weiter kein wirklich faires Verfahren. Im
Entwurf heißt es einschränkend: "Von der Beiziehung einer
Vertrauensperson (meist Verteidiger, Anm.) kann abgesehen werden,
soweit aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass ihre
Anwesenheit Ermittlungen beeinträchtigen könnte." Das ist praktisch
immer der Fall, weil Verteidiger auf der Seite der Beschuldigten
stehen müssen.

Und gänzlich abenteuerlich ist die von Justizminister Dieter
Böhmdorfer geplante Abschaffung des unabhängigen
Untersuchungsrichters, der bisher "Herr des Verfahrens" war. Er soll
durch den weisungsgebundenen Staatsanwalt ersetzt werden. Im
wichtigen Vorverfahren würden künftig also nur mehr weisungsgebundene
Staatsanwälte oder Polizeibeamte tätig sein. Die Weisungspyramide
wiederum endet weiterhin beim Justizminister.

Das ist - unabhängig davon, welche Partei den Minister stellt -
bedenklich. Der Justizminister würde zum obersten Ankläger. Statt
aber endlich die Abschaffung des Weisungsrechts für Staatsanwälte
anzugehen, arbeitet man munter weiter an der Untergrabung der
Grundrechte.

Rückfragehinweis: Der Standard
Tel.: (01) 531 70/428

OTS-ORIGINALTEXT UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS | PST/OTS

Bei Facebook teilen.
Bei X teilen.
Bei LinkedIn teilen.
Bei Xing teilen.
Bei Bluesky teilen

Stichworte

Channel