- 08.01.2002, 08:23:36
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Die Sprache, die Haider versteht - Von Samo Kobenter
DER STANDARD - Kommentar am:08.01.2002
Wien (OTS) - Was immer Jörg Haider anspricht, wird zum
Kommunikationsproblem. Und zwar zu einem grundsätzlichen: Er versteht
nicht, warum ihn niemand versteht. Da war zunächst die Geschichte mit
den Ortstafeln: Eine slowenische Aufschrift ist nicht allen
verständlich, von der Verwendung der slowenischen Sprache einmal
völlig abgesehen.
Gut, zu Zeiten, als Jörg Haider groß wurde, verstanden wenigstens
die obersten Instanzen in Wien noch ab und zu Fraktur. Jetzt ist das
anders, und wenn er sich aufregt, dass ihn auch dort niemand mehr
versteht, bestätigen zwölf Verfassungsrichter das Unverständnis der
Justiz. Felonie, sozialistische, mindestens aber ein "Fehlurteil".
Der Zorn des armen Kärntner Landeshauptmanns ist verständlich: Wie
anders, bitte schön, hätte er denn reagieren sollen auf das Urteil
der Höchstrichter, die ihren Präsidenten Ludwig Adamovich natürlich
nicht des Amtes entheben wollten, bloß weil er seine Arbeit so getan
hat, wie es das Gesetz vorschreibt? Haider wäre nicht Haider, hätte
er dazu applaudiert. Damit hätte er sein Kommunikationsproblem zwar
in Richtung möglicher Besserung entwickeln können, so aber bleibt es,
was es war: politischer Autismus in reinster Form.
Haider kennt keine Spielregeln, weil er die Sprache, in der sie
geschrieben sind, zwar lesen, aber nicht in allgemein akzeptierte
Handlungen umsetzen kann oder will. Es ist offenbar auch
aussichtslos, ihm diese Kulturtechnik beizubringen. Er spricht von
einem "denkbar knappen Fehlurteil" der Verfassungsrichter - nicht
obwohl, sondern weil er es besser weiß: Er weiß, dass die Richter
außergewöhnlich schnell und völlig korrekt geurteilt haben. Er weiß,
dass die Entscheidung nicht knapp, sondern eindeutig zu seinen
Ungunsten gefallen ist. Er weiß, dass er seine Behauptungen nicht
beweisen muss, und behauptet daher das Gegenteil - auch weil er weiß:
Die genauen Stimmenverhältnisse bleiben geheim, weil das zu den von
allen Parteien dieses Landes beschlossenen Spielregeln der Justiz
gehört.
Natürlich könnte man daran denken, diese zu ändern und den VfGH
zu reformieren, und beispielsweise die "dissenting opinion"
einführen, um den leidigen - und in der Grundsubstanz schreiend
banalen - Vorwurf ein für alle Mal abzustellen, der VfGH treffe
"politische" Urteile. Nur, was nützte es einem Jörg Haider, müsste
der VfGH tatsächlich die Stimmenverteilung in einem Urteilsspruch
sowie die von der Mehrheitsmeinung abweichenden Schlüsse der
Verfassungsrichter veröffentlichen? Sicher, die Urteilsfindung wäre
transparenter, und allein das wäre im Sinn demokratischer Transparenz
begrüßenswert. Nur sollte niemand dem Trugschluss erliegen, dass sich
damit für Haider etwas ändern würde. Im Gegenteil: Damit wären bloß
die Richter genannt, die Haider jetzt namenlos des Fehlurteils zeiht.
Nein, die Reform, mit der Haider nun dem VfGH droht, hat nichts
mit Transparenz zu tun. Es ist eine Reform, die eine in Jahrzehnten
mühsam durchgesetzte demokratische Grammatik durch die einzige
Sprache ersetzt, die Haider zu verstehen scheint, ohne gleich in das
aufbrausende "was, was" des stets auf der Lauer vor unbequemen
Neologismen liegenden nationalen Schreihalses zu verfallen: Ihre
Grundzüge stehen nicht im Duden, sondern können in den
Geschichtsbüchern nachgelesen werden. Und zwar noch nicht
"neurolinguistisch" programmiert.
Besonders beschämend ist, wie sich die ÖVP der Angelegenheit
entledigt. Die Attacke, die Haider auf die Verfassung unternommen
hat, ist eben nicht mit dem fadenscheinigen Lob erledigt, das
Klubobmann Andreas Khol den Verfassungsrichtern spendiert hat. Sie
wäre Anlass zu grundlegender Klarstellung in der Koalition, die
gerade Khol als Zirkelmesser des Verfassungsbogens betreiben sollte:
Aber das scheint der ÖVP mindestens so viel Angst zu machen wie die
Aussicht, vor dem gesetzmäßigen Ablauf der Legislaturperiode ihre
historische Kanzlerschaft aufgeben zu müssen.
Rückfragehinweis: Der Standard
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