• 11.07.2023, 22:00:02
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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 12. Juli 2023. Von Floo Weißmann. "NATO 2.0".

Innsbruck (OTS) - 

Kremlchef Putin hat dem westlichen Sicherheitsbündnis wieder Sinn und Zweck gegeben. Es geht um die Ukraine und um die zukünftige europäische Sicherheitsarchitektur.

Es ist noch nicht lange her, da hatten NATO-Gipfel den Charakter einer Nabelschau. Die Debatte drehte sich um Sinn und Zweck der Organisation und um die interne Lastenteilung. Die Mitglieder gaben eher das Bild eines westlichen Zerwürfnisses ab als das eines Bündnisses, provoziert auch durch umstrittene Aussagen von Staatschefs wie Donald Trump und Emmanuel Macron. Beinahe wurde die NATO damit zum Opfer ihres eigenen Erfolgs im Kalten Krieg.
Doch dann befahl Kremlchef Wladimir Putin den Großangriff auf die benachbarte Ukraine – nicht zuletzt deshalb, weil sie begonnen hatte, vom Moskauer Orbit nach Westen zu driften. Und mit dem heißen Krieg lieferte er der NATO etwas, was sie aus eigener Kraft nicht entwickeln konnte: Das Bündnis verfügt wieder über ein strategisches Ziel, eine operative Herausforderung und ein gemeinsames Bewusstsein für die Notwendigkeit und die Kosten kollektiver Sicherheit.
Die viel geschmähte NATO ist plötzlich wieder ein begehrter Partner. Das belegen u. a. die Beitritte von Finnland und voraussichtlich auch bald von Schweden, die im Kalten Krieg noch blockfrei bzw. neutral geblieben waren. Auch die Ukraine ist de facto bereits fest in das westliche Bündnis eingebunden. Rein formal spielt die NATO im Krieg zwar keine Rolle. Aber die koordinierte Unterstützung durch ihre Mitglieder gilt heute als entscheidender Faktor für das Überleben der Ukraine als eigener Staat.
Zum Start des NATO-Gipfels war gestern noch unklar, in welchen Worten und Zusicherungen das Bündnis sein Verhältnis zur Ukraine ausdrückt. Es ging um eine Formel, die einerseits klarstellt, dass die Zukunft der Ukraine in der NATO liegt, die aber andererseits das Bündnis nicht direkt in einen Krieg mit Russland hineinzieht. Das Tauziehen um die Formel überschattet die Gemeinsamkeit in der Grundsatzfrage: Die NATO ist entschlossen, der Ukraine weiter beizustehen, und den Krieg zugleich zur langfristigen Eindämmung Russlands zu nützen.
Der Westen und die Ukraine sind schicksalhaft verbunden. Ihre Zukunft hängt wesentlich davon ab, wie der Krieg einmal endet und was danach kommt. Beim Wiederaufbau und bei den Nachkriegsstrukturen in der Ukraine wird vor allem die EU gefragt sein. Aber in der militärischen Auseinandersetzung mit Russland und in der zukünftigen Sicherheitsarchitektur in Europa spielt voraussichtlich wieder die NATO die westliche Hauptrolle. Das wird nicht ohne interne Interessenkonflikte abgehen, wie schon der aktuelle Gipfel zeigt. Trotzdem folgt auf die Phase der Existenzkrise nun eine, in der die NATO wieder stärker als Bündnis auftritt und ihr Wirken nach außen richtet.

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