• 05.12.2022, 22:00:02
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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel vom 6. Dezember 2022. Von Christian Jentsch: "Risse im Fundament des Gottesstaats".

Innsbruck (OTS) - 

Das Mullah-Regime im Iran kommt angesichts der landesweiten Proteste immer stärker in Bedrängnis. Auch die angekündigte Auflösung der Sittenpolizei wird die Menschen nicht besänftigen.

Der sich immer wieder von Neuem zuspitzende Konflikt um das Atomprogramm des Landes brachte den Iran in den letzten Jahren häufig in die Schlagzeilen. Die Herrschenden in Teheran am Bau einer Atombombe zu hindern, zählt zu den dringlichsten Aufgaben des Westens auf der Bühne der Weltpolitik. Doch dass die Fundamente des schiitischen Gottesstaates schon längst tiefe Risse aufweisen, blieb lange ausgeblendet. Das Mullah-Regime, das die Zügel vor allem mit Hilfe eines immer brutaler agierenden Sicherheitsapparats noch in der Hand hält, hat sich schon längst von breiten Teilen der Bevölkerung entfremdet. Irans oft gut gebildete Jugend kann – insbesondere in den Städten – mit den Schlachtrufen der religiösen Revolutionäre längst nichts mehr anfangen. Und die strengen islamischen Kleidervorschriften wie der Kopftuchzwang, die von Sittenwächtern kontrolliert wurden, werden von vielen Iranerinnen als Ausdruck der systematischen Unterdrückung von Frauen nicht länger hingenommen. Der gewaltsame Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, die von der Sittenpolizei verhaftet wurde, weil ihr Kopftuch offenbar zu locker saß, brachte das Fass zum Überlaufen. Eine von jungen Frauen angeführte Protestwelle erfasste das ganze Land und breite Gesellschaftsschichten. Studenten und Studentinnen, Arbeiter und Arbeiterinnen gehen auf die Straßen. Das Regime antwortete bisher nur mit brutaler Gewalt. Auch die Versuche der Herrschenden, ethnische Konflikte zu konstruieren und somit die Demonstranten zu spalten, sind bisher fehlgeschlagen. Die Wut der Menschen über ein repressives und korruptes Regime und die sich verschlechternden Lebensbedingungen haben eine Dynamik entwickelt, die nur mehr sehr schwer zu stoppen sein wird. Die Nervosität im komplizierten und alles andere als homogenen Machtapparat Teherans steigt. Die Hardliner, welche die liberalen Kräfte zuletzt an den Rand gedrängt haben, bangen um ihr Machtgefüge. Mit Ablenkungsmanövern und kosmetischen Schritten werden die Ultrakonservativen an den Schalthebeln der Macht das Feuer der Rebellion jedenfalls nicht löschen können. Die Ankündigung, die verhasste Sittenpolizei abzuschaffen, wird nicht reichen, um die Proteste einzudämmen.
Doch nicht nur die Machthaber im Iran müssen sich vor ihren Bürgern fürchten. Auch in Irans alles andere als demokratischer Nachbarschaft sind Menschenrechte ein Fremdwort. Einen Unterschied gibt es freilich. Die Machthaber in Ländern wie Saudi-Arabien sind enge Verbündete des Westens. Da schaut man dann halt nicht so genau hin.

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