Ukraine-Krieg: „Österreich hat das Problem der Energieversorgung noch nicht richtig erkannt“
Salzburg/Wien (OTS) - Wer weiß heute noch, dass Lemberg, das derzeit kriegsgebeutelte L`viv, als „Hauptstadt des Königreiches Galizien und Lodomerien“ 140 Jahre bei Österreich war? - Interessante Fakten und aktuelle Einschätzungen zu den Auswirkungen des Krieges in der Ukraine bot der Vortrag des renommierten Historikers Dr. Gerhard Stadler im Rahmen des Management-Club-Salzburg-Abends im Plenarsaal der Wirtschaftskammer Salzburg.
Stadler gilt als ausgewiesener Experte für Osteuropa und hat die Ukraine viele Male beruflich bereist, zuletzt als Berater der Europäischen Kommission. Die Ukraine und Österreich haben viele historische Verbindungen, „rot-weiß-rote Spuren“ lassen sich immer wieder finden. Der Salzburger Dichter Georg Trakl etwa erlebte 1914 als Sanitätsleutnant zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Schlacht von Gródek an der Ostfront in Galizien (historische Landschaft in der Westukraine und Südpolen) zwischen russischen und österreichisch-ungarischen Truppen mit. Angesichts seiner Verzweiflung im Hinblick auf die Schwerverwundeten und Toten verfasste er eines seiner bekanntesten Gedichte mit dem Titel „Gródek“.
1991, vor etwas mehr als 30 Jahren, wurde die Ukraine unabhängig – heuer, am 24. Februar, erfolgte die russische Invasion und der Beginn des Krieges. Dieser verursacht großes, menschliches Leid, Flüchtlings- und EmigrantInnen-Ströme und hat auch erhebliche wirtschaftliche Auswirkungen. Die EU-Kommission hat ihre Wachstumsprognose für die europäische Wirtschaft wegen des Krieges in der Ukraine drastisch gesenkt. Die Wirtschaft der EU sowie der Euro-Länder werde in diesem Jahr nur um 2,7 Prozent wachsen statt wie bisher erwartet um vier Prozent, wie aus der in Brüssel vorgelegten Frühjahrsprognose der Behörde hervorgeht.
Für kommendes Jahr geht die EU-Kommission von 2,3 Prozent Wachstum in der EU und im Euro-Raum aus. In ihrer Februar-Prognose hatte sie noch 2,8 Prozent für die EU und 2,7 Prozent für die Euro-Länder im Jahr 2023 vorhergesagt.
Neben dem Krieg belasten auch die hohe Inflation, verschärfte Produktions- und Lieferprobleme sowie Energiepreisschocks die Konjunktur. „Das wirkliche Problem sind aktuell die Energielieferungen“, erläutert Stadler. „Unsere Energie-Abhängigkeit von Russland liegt zwischen 80 und 100 Prozent und besteht vor allem im Hinblick auf das Erdgas.“ Aus seiner Sicht habe Österreich das Problem der Energieversorgung „noch nicht richtig erkannt“. „Wir sollten unsere Beziehungen zu Russland nicht so ,ausreizen‘, dass uns das Gas komplett abgedreht wird“, erläutert Stadler im Rahmen des Management-Club-Abends, zu dem MC-Salzburg-Präsident Dr. Johannes Hörl ein großes, interessiertes Publikum begrüßen konnte, das sich bei der Diskussion nach dem Vortrag engagiert einbrachte.
Interessantes historisches Detail im Zusammenhang mit der Energiefrage: Österreich zählte um 1900 aufgrund der Ausbeutung der Lagerstätten in Galizien zum drittgrößten Erdölproduzenten der Welt, war also eine „Großmacht“.
Immer wieder für Schlagzeilen sorgen die wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland, die die Oligarchen treffen sollen. Den Einfluss selbiger gibt es übrigens nicht nur in Russland, sondern auch in Österreich. „Gebiete wie der Semmering in Niederösterreich gehören quasi den russischen Oligarchen“, so Stadler. „Und fragen Sie mal einen Bürgermeister dort, ob ihm das gefällt.“
In der Ukraine würden zudem derzeit 20 Millionen Tonnen an Weizen in Silos liegen, die nicht exportiert werden können, skizziert Stadler ein weiteres, wirtschaftliches Problem.
Ein baldiges Ende des Krieges ist laut Stadler nicht in Sicht. „Ein Sieg der Ukraine ist eher unwahrscheinlich.“ Eine denkbare Variante, wie sich der Krieg entwickeln könnte, sieht Stadler darin, dass die Ostukraine ein Teil Russlands wird. Doch alles sei Hypothese. „Eine innere, eine ,Palast-Revolution‘ wird es in Russland wohl nicht geben. Niemand findet aus dieser Sackgasse heraus.“ Einschätzungen, die bewusst machen, dass zukünftige Entwicklungen sehr herausfordernd sein werden.
Bei allen personenbezogenen Bezeichnungen gilt die gewählte Form für beide Geschlechter.
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