- 06.05.2022, 22:00:32
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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 7. Mai 2022 von Alois Vahrner "Robin Hood und das Börse-Beben"
Innsbruck (OTS) - Bundeskanzler Nehammer hat mit seinem TT-Interview,
in dem er eine Gewinnabschöpfung bei (teil-)staatlichen
Krisengewinnern fordert, heftige Reaktionen ausgelöst, gerade auch an
der Börse. Eine Wende von Türkis zu Dunkelrot?
Die teilweise Privatisierung von Betrieben werfe nun in der Krise für
den Staat Probleme auf, Zufallsgewinne wie in der Energiewirtschaft
„gehören dem Volk“ und müssten diesem über ein neues Reglement
zugänglich gemacht werden. Dies alles kam nicht etwa von politisch
Linken, sondern von Bundeskanzler Karl Nehammer, der in einer Woche
beim Parteitag auf eine hohe Zustimmung als ÖVP-Chef hofft. Die Latte
des zurückgetretenen Vorgängers Sebastian Kurz lag mit fast
nordkoreanisch anmutenden 99,4 Prozent Zustimmung zwar ohnehin außer
Reichweite, Nehammers Vorstoß in Robin-Hood-Manier zeugt jedenfalls
von einigem Mut – zumal er wohl auch in Richtung des eigenen
Wirtschaftsfügels prophezeite: „Alle Wirtschaftsliberalen fallen
jetzt gleich in Ohnmacht.“
Ob das dann passiert ist, entzieht sich unserer Kenntnis. Was
Nehammer mit seinem TT-Interview aber auf jeden Fall ausgelöst hat,
ist eine Welle an sowohl positiven wie auch negativen Reaktionen. Und
an der ja stets auch zu heftigen und kurzfristigen Übertreibungen
neigenden Börse löste der Kanzler mit seinen ohnehin noch vagen
Überlegungen bei einigen Titeln ein Beben aus. Die beiden
börsenotierten Stromversorger Verbund und EVN haben binnen eines
Tages über 5,4 Mrd. Euro an Marktwert verloren, der Kursrutsch allein
des öffentlichen Anteils an den beiden Energieversorgern machte mehr
als 4,3 Mrd. Euro aus. Das wäre, wenn das Minus dauerhaft so bliebe,
ungleich mehr, als wohl jemals an Gewinn-Abschöpfungen kassiert
werden könnte.
Das Finanzministerium prüft nun jedenfalls mögliche Varianten, wie
man für die Bürgerinnen und Bürger einen Teil der horrenden
Energiekosten zurückholen könnte. Laut Experten wären freilich
einseitige Maßnahmen für nur teilstaatliche Unternehmen wohl
verfassungswidrig – und zudem gäbe es für diesen Fall ja die weit
einfachere Möglichkeit, höhere Dividenden zu verlangen. Zweifel gibt
es auch an allenfalls rückwirkenden Eingriffen.
Unabhängig vom weiteren Fortgang in dieser Causa könnten Corona, die
Teuerungswelle, Lieferketten-Probleme bis hin zur Wiederansiedlung
von strategischen Produktionen auch zu einer Neugewichtung von Staat
und Wirtschaft führen. „Mehr privat statt Staat“ scheint nach
verschiedensten Interventionen über Riesen-Hilfspakete bis hin zum
Gebietsschutz wohl längerfristig ausgedient zu haben. Bekanntlich ist
der Staat nicht immer ein guter Unternehmer. Aber klar ist auch, dass
der Markt allein die jüngsten und kommenden großen Probleme (auch den
Klimawandel) nicht lösen kann oder wird.
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