TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel", vom 18.März 2022, von Max Strozzi:"Der hohe Preis der Lethargie"
Innsbruck (OTS) - Während Energiekonzerne Rekordgewinne verkünden, trifft der Energiepreisschock viele Menschen hart. Bittere Erkenntnis ist aber auch: Ohne hohe Preise für Fossiles hat die Energiewende wenig Chance auf rasche Umsetzung. Da wurde viel verschlafen.
Kaum wo ist die Teuerung derart greifbar wie an Tankstellen, wo der Autofahrer auf gut dimensionierten Preistafeln täglich die Schwankungen verfolgen kann. In der Regel wird um die zweite Kommastelle gerungen, zuletzt ging es um insgesamt einen Euro je Liter nach oben. Autofahrer, Bus- und Lkw-Firmen stöhnen, wie auch jeder mit einem Heizöltank im Keller. Wenn der Ölpreis explodiert, explodieren die Spritpreise gleich mit. Wenn der Ölpreis wie zuletzt sinkt, erklären uns Energiekonzerne wie die OMV, warum der Spritpreis doch nicht ganz mit dem Ölpreis zusammenhängt. Dass hier Kasse gemacht wird, ist augenscheinlich. Was übrigens auch für den Staat gilt, der über Mineralöl- und Mehrwertsteuer doppelt mitschneidet. Die Staatskasse kann das Geld gut brauchen angesichts der Pandemiemilliarden, die geflossen sind. Finanzminister Magnus Brunner lässt sich deshalb lieber noch ein paar Wochen Zeit, bevor vielleicht die eine oder andere Abgabe gesenkt wird. Nur keine Eile.
Bei allem Schock über die Tankrechnung und dem Rattenschwanz, der an den Energiepreisen hängt, muss aber auch die Erkenntnis sein, dass fossile Brennstoffe deutlich teurer als in den vergangenen Jahren sein müssen, will man die Energiewende hinkriegen. Wifo und Agenda Austria haben unlängst vorgerechnet: Gemessen am Einkommen haben wir in der Vergangenheit immer noch deutlich mehr für Sprit ausgegeben als derzeit.
Jetzt kann man das Auto mal stehen lassen, wenn’s geht. Auf Strom oder Gas zu verzichten, ist schwerer – das gilt für Haushalte wie für die Industrie. Hier rächt sich aber die Lethargie vergangener Jahrzehnte. Mindestens seit Kyoto 1997 wird diskutiert, weniger Fossiles in die Luft zu blasen. Passiert ist das Gegenteil. Alternativen wurden verschlafen, was auch daran erkennbar ist, dass jetzt alle zu den Öl-Scheichs pilgern. Dass sich die OMV völlig an Russland band, kommt uns doppelt teuer. Der Staat wird sich was einfallen lassen müssen, um jenen Menschen die Gasrechnung erträglicher zu gestalten, die andernfalls nicht mehr heizen oder warm duschen können.
Was die Strompreise betrifft, stellt sich dem Laien die Frage, warum Österreich Wasserkraftwerke en masse hat und für deren Ausbau kräftig lobbyiert wird, wenn trotzdem der internationale Handel den Preis vorgibt. Das Stromgeschäft mag komplex sein, aber so ein eigenes Kraftwerksnetz könnte in Krisenzeiten auch mal einen Nutzen bringen, und zwar nicht nur dem Verbund, der uns erklärte, was es mit den teuren Großhandelspreisen auf sich hat. Die bringen ihm einen Rekordgewinn von 2 Mrd. Euro. Vielleicht kriegen wir was ab. Immerhin gehört ja der Verbund zur Hälfte dem Staat – also uns.
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