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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" Ausgabe, 3. März 2022, von Wolfgang Sablatnig: "Wichtiger Ausschuss, schlechter Start"

Innsbruck/Wien (OTS) - Der erste Tag im neuen ÖVP-Untersuchungsausschuss brachte mit Bundeskanzler Karl Nehammer einen prominenten Zeugen. In der Sache brachte er nichts. Noch haben die Abgeordneten Zeit, es besser zu machen.

Die Welt schaut nach Kiew. Österreich schaut auf den Untersuchungsausschuss. Stimmen hier die Dimensionen? Wer gestern die Befragung von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) im U-Ausschuss verfolgt hat, muss diese Frage verneinen. Nehammer saß zwar da, war über weite Strecken aber nur stummer Gast. Über ihn hinweg stritten die Fraktionen die Spielregeln aus: Welche Fragen sind zulässig? Wo liegen die zeitlichen Grenzen der zulässigen Fragen? Dürfen Interna einer Partei Thema sein, wenn sich der Ausschuss doch mit der Verwaltung befassen soll?
Wiederholt kam es zu quälend langen Pausen und Wiederholungen. SPÖ-Mann Kai Jan Krainer stellte seine Fragen immer und immer wieder, jedes Mal von einer anderen Richtung, ohne seine wirklichen Vorwürfe preiszugeben. Nehammer schwieg und wartete. Die ÖVP sprang in die Bresche und wiederholte gebetsmühlenartig, dass Krainers Fragen nicht zulässig seien.
Es dauerte nicht lange, bis die Rollen im Ausschuss klar vergeben waren. Hier der rote Angreifer Krainer, der nicht lockerlässt. Dort die türkisen Verteidiger Andreas Hanger und Christian Stocker, die mit der Miene von Unschuldslämmern die Zulässigkeit von Fragen bestritten – tatsächlich aber nur für ihren Obmann Zeit schinden und die Vorwürfe von ihrer Partei wegspielen wollen.
Aufklärung? Kaum. Und trotzdem, auch wenn dieser Befund nach diesem ersten Tag der Befragungen schwerfällt: Natürlich ist der U-Ausschuss wichtig. Es gibt viele Hinweise, dass sich unter dem früheren ÖVP-Chef und Bundeskanzler Sebastian Kurz ein türkises System breitgemacht hat, das die Grenzen von Partei und Verwaltung verschwimmen ließ. Für die politische Hygiene dieser Republik ist es nötig, diese Vorgänge aufzuklären. Wie sehr sie das politische Klima vergiftet haben, zeigte sich gestern im Ausschuss.
Dieser hat dort begonnen, wo der Ibiza-Ausschuss im vergangenen Sommer aufgehört hat. Der Aufklärung, die alle Fraktionen so gerne betonen, war nicht gedient. Der Start ist misslungen. Der Ausschuss dauert aber noch viele Monate – Zeit, es besser zu machen. Dies gilt für die türkisen Verteidiger, die nicht müde werden, „volle Transparenz“ zu versprechen. Dies gilt aber auch für die Angreifer, wenn sich deren Fragetaktik in bloßer Wiederholung erschöpft.
Die Mitglieder des Ausschusses von allen Fraktionen haben eine gemeinsame Verantwortung. Geht der Ausschuss aber so weiter, wie er begonnen hat, erreicht er das Gegenteil von dem, was er bezwecken soll. Er würde weiteres Vertrauen zerstören, anstatt neues aufzubauen.

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