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Tiroler Tageszeitung, Leitartikel, Ausgabe vom 10. September 2021. Von WOLFGANG SABLATNIG. "Eine Frage der Glaubwürdigkeit".

Innsbruck (OTS) - Die Grünen haben der ÖVP in den Koalitionsverhandlungen ein Bekenntnis zu mehr Kontrolle der Parteifinanzen abgerungen. Die Umsetzung der Vorsätze für eine saubere Politik stockt jedoch.

Es schien eine Königsidee zu sein: Als Sebastian Kurz sich 2017 anschickte, die ÖVP zu übernehmen, warb er um Spenden. Unternehmer wie KTM-Chef Stefan Pierer, der Bauindustrielle Klaus Ortner oder Kaufhaus-Erbin Heidi Horten unterstützten die Erzählung des Erlösers aus der Verkrustung der großen Koalition mit Hunderttausenden Euros – und landeten sehr zu ihrem Ärger in den Schlagzeilen und vor dem Ibiza-Untersuchungsausschuss. Dort saß auch Hans Peter Haselsteiner, der maßgeblichen finanziellen Anteil an Gründung und Großwerden der NEOS hatte.
Später nutzten SPÖ, FPÖ und Liste Pilz die kurze Phase der freien Mehrheiten im Nationalrat, um Spenden dieser Größenordnung zu verbieten.
Jetzt steht mit dem Ausbau der Kontrollmöglichkeiten der nächste Schritt zu mehr Transparenz im Politikbetrieb an. Im Koalitionspakt haben die türkisen Verhandler sogar direkten Kontroll- und Einschaurechten für den Rechnungshof zugestimmt.
Die Umsetzung stockt aber. Für die Koalition wird das zur Frage der Glaubwürdigkeit. Die Grünen müssen zeigen, dass sie die Partei mit „Anstand“ sind, als die sie 2019 wieder in den Nationalrat eingezogen sind. Und die ÖVP könnte versuchen, sich vom Geruch der käuflichen Politik zu befreien, der sie seit dem Ibiza-Ausschuss begleitet. Transparenz ist jedoch nicht nur ein türkises Problem. Kreative Wahlkampf-Buchhaltung kennt auch die SPÖ mit ihren Vorfeldorganisationen. Wie steht es um die Verbindungen zu Gewerkschaft und Arbeiterkammer? Die Arbeitnehmerorganisationen sind Personalreserve und Zuarbeiter für die SPÖ. Ist aber ein Gesetz automatisch gut, wenn es auf Initiative der Gewerkschaft gefordert wird – und schlecht, wenn sich Unternehmer dafür starkmachen? Politik kann nicht im luftleeren Raum stattfinden. Politik bedient immer Interessen. Problematisch wird es, wo versucht wird, die Regeln bis über die Grenzen auszureizen und die Interessen zu verschleiern. Genau das ist aber geschehen. Wir erinnern uns an die Stückelung türkiser Spenden, die damit erst nach der Wahl veröffentlicht werden mussten.
Im Sinne des Vertrauens wäre die Koalition gut beraten, die schärferen Regeln für die Parteikassen nicht weiter hinauszuzögern. Und wenn sie schon dabei ist, endlich auch das Amtsgeheimnis abzuschaffen und die Schwachstellen im Korruptionsstrafrecht zu korrigieren. Weitere Verzögerungen schüren nur den Verdacht, dass noch immer versucht wird, zu tricksen oder etwas zu verheimlichen.

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