- 21.04.2021, 22:00:01
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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 22. April 2021 von Floo Weißmann "Luft zum Atmen"
Innsbruck (OTS) - US-Präsident Biden und die Demokraten wollen den
politischen Rückenwind durch den Fall Floyd nützen.
Doch der systemische Rassismus ist tief verwurzelt, und die
Republikaner mobilisieren gegen Reformen.
Ich kann nicht atmen“, waren die letzten Worte des Afroamerikaners
George Floyd, bevor er unter dem Knie eines weißen Polizisten
erstickte. Dass dieser nun vor Gericht schuldig erkannt wurde, dürfte
die Mehrheit der Amerikaner mit Genugtuung und die politische Führung
mit Erleichterung erfüllen. Alles andere als ein Schuldspruch hätte
Unruhen ausgelöst. Juristisch ist der Fall Floyd damit nahezu
abgeschlossen; aber die politische und gesellschaftliche
Nachbearbeitung steht erst am Anfang.
Floyds Schicksal wurde zu einem Symbol für Rassismus und
Polizeibrutalität, weil Videos von seinen letzten Minuten das ganze
Land zu virtuellen Zuschauern machten. Selten war ein
Polizeiübergriff gegen Schwarze so gut dokumentiert und das Unrecht
auch für Weiße so nachvollziehbar. Es folgte die größte soziale
Protestbewegung seit den sechziger Jahren. Jeder zehnte registrierte
Wähler soll im Vorjahr zumindest einmal an einer Kundgebung
teilgenommen haben.
Präsident Joe Biden wäre ohne die Stimmen der Afroamerikaner nicht
ins Weiße Haus eingezogen. Er und die Demokraten machen Druck, den
systemischen Rassismus im Land anzupacken. Der Schuldspruch im
Floyd-Prozess kommt ihnen doppelt zupass, weil der Anlassfall quasi
amtlich bestätigt wurde und weil keine Bilder von Krawallen die
Mittelschicht ablenken und ängstigen.
Viel ist in den vergangenen Monaten schon passiert. Unternehmen,
Universitäten, Sportvereine usw. haben ihre Geschichte, ihre
Strukturen und ihr Personal hinterfragt. Bundesstaaten und Kommunen
verpassten ihren Polizisten neue Regeln. Umfragen deuten darauf hin,
dass sich in Teilen der Gesellschaft das Bewusstsein verändert.
Die Wurzel des Problems reicht jedoch tiefer: Die Frontlinie im Kampf
gegen das Erbe der Sklaverei führt durch die Vermögensverteilung, die
Wohnverhältnisse, den Strafvollzug und den Zugang zu Bildung und
Gesundheitsversorgung. Wenn es ans Eingemachte geht, kann die
Solidarität rasch enden.
Zudem bleiben die USA ein gespaltenes Land. Das andere Amerika ist im
Umfeld des Floyd-Prozesses auffallend still geblieben. Aber bis vor
drei Monaten regierte in Washington ein Präsident, der die
Verlustängste weißer Amerikaner bediente. Seine Republikaner
mobilisieren gegen Bidens Reformpolitik. Und sie versuchen in den von
ihnen regierten Bundesstaaten, die Wahlbeteiligung von Minderheiten
zu senken und unliebsame Proteste zu kriminalisieren. Im
Kongresswahlkampf 2022 treten sie dann wieder mit „Law & Order“ gegen
„Black Lives Matter“ an. Noch ist keineswegs gesichert, dass den
Afroamerikanern langfristig mehr Luft zum Atmen bleibt.
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