Caritas Appell für eine gute Zukunft Österreichs: Armut bekämpfen, Pflege reformieren und Zusammenhalt stärken
Caritas Präsident Landau appelliert in einem offenen Brief an die SpitzenkandidatInnen zum Nationalrat, sich mit Respekt und Engagement für eine gute Zukunft Österreichs einzusetzen.
Wien (OTS) - Sehr geehrte Frau Spitzenkandidatin, Sehr geehrter Herr Spitzenkandidat!
Wenn am 29. September 2019 sechs Millionen Österreicherinnen und Österreicher aufgerufen sind, ihre Stimme für die anstehende Parlamentswahl abzugeben, haben Sie Ihre Wahl bereits getroffen: ob Sie das Wohl der Menschen in Österreich in einem starken Europa und im gemeinsamen Haus einer zukunftstauglichen Welt in den Mittelpunkt stellen, oder ob das politische Porzellan unseres Landes und Europas so zerschlagen wird, dass letztlich die Tafel nach der Wahl nur mehr mit Scherben gedeckt werden kann! Und von eben Ihrer Wahl und Ihren Entscheidungen hängt es maßgeblich ab, in welchem Land wir morgen leben werden und von welcher Grundmelodie dieses Land getragen sein wird.
Als Mensch und Bürger und als Verantwortlicher einer Hilfsorganisation und damit Teil der Zivilgesellschaft möchte ich dafür werben, dass es eine Grundmelodie des Respekts, der Hoffnung und der Zuversicht ist. Was hat Österreich und Europa groß gemacht? Dialog und die Fähigkeit zusammenzustehen und auf die Schwächsten nicht zu vergessen.
Auch bei diesen Wahlen geht es also nicht nur um die Zukunft einzelner Parteien, sondern zu allererst um die Zukunftstauglichkeit unseres Landes.
Jedenfalls drei Punkte sollten in der kommenden Legislaturperiode über Parteigrenzen hinweg außer Streit gestellt werden: Die Bekämpfung von Armut, die Zukunft der Pflege und die Stärkung des Zusammenhalts in Politik und Gesellschaft.
Kinder- und Altersarmut bekämpfen
Bekämpfung von Armut meint im Österreich des Jahres 2019, leistbaren Wohnraum sicherzustellen. Aus unserer täglichen Arbeit wissen wir: In vielen Haushalten bedeuten die Wohnkosten die größten Ausgaben. Im untersten Einkommensdrittel muss bis zu 29 Prozent des Einkommens fürs Wohnen ausgeben werden. Die lang versprochene Reform des Mietrechtsgesetzes muss hier für Verbesserungen sorgen.
Armut bekämpfen meint schließlich auch, die Abschaffung der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zu überdenken. Das neue Sozialhilfegesetz birgt die massive Gefahr, das Armutsrisiko vor allem von Kindern zu erhöhen. Es darf nicht sein, dass gerade kinderreiche Familien nicht mehr wissen, wie sie ihre Miete zahlen oder wie sie ihre Familie ernähren sollen. Politik hat die Aufgabe, Menschen dabei zu unterstützen, ihr Potenzial auszuschöpfen, damit sie ihre Stärken entfalten und einen Beitrag leisten können. Dieses Gesetz könnte das Gegenteil bewirken.
Pflege zukunftstauglich gestalten
Die Zukunftstauglichkeit unseres Landes hängt auch davon ab, wie wir mit älteren Menschen in unserem Land umgehen. Bis zum Jahr 2050 ist mit einem Anstieg pflegebedürftiger Menschen von derzeit 450.000 auf 750.000 Menschen zu rechnen. Mehr als 50.000 zusätzliche Pflegekräfte werden benötigt. Unser Land wird alt aussehen, wenn die Reform der Pflege nicht zügig in der nächsten Legislaturperiode auf den Weg gebracht wird. Es gilt zu verhindern, dass die Pflege selbst zum Pflegefall wird! Aus unserer Sicht sollte es darum gehen, pflegende Angehörige deutlich stärker zu entlasten – denn sie sind der größte Pflegedienst des Landes. Gelingen kann dies etwa durch flächendeckende Entlastungsangebote oder durch einen Rechtsanspruch auf Beratung und Ersatzpflege.
Zweitens muss es darum gehen, pflegebedürftige Menschen selbst besser zu unterstützen: Mit neuen Formen der Kurzzeitpflege, mit einer Stärkung des mobilen Bereichs und mit einer Sicherstellung einer solidarischen Form der Finanzierung. Qualität, Umfang und Kosten der Pflege sollten nicht länger vom Wohnort der Betroffenen abhängen. Eine bessere Ausgestaltung des Pflegegeldes ist hier ebenso Thema, wie das Feld der Prävention.
Drittens muss es gelingen, den Pflegeberuf attraktiver zu gestalten. Jede Reform ist zwecklos, wenn wir zu wenig Personal haben, das in der Pflege tätig ist.
Ich bitte Sie, eine an der Würde des Menschen Maß nehmende Pflege sicherzustellen.
Zusammenhalt stärken – „Wer unser Land liebt, spaltet es nicht“
Abschließend möchte ich an Sie appellieren, nicht der populistischen Versuchung zu erliegen. Deren Folgen beobachten wir in diesen Tagen in vielen Ländern Europas und weltweit. Meine Bitte lautet, der Versuchung einer Politik der nationalstaatlichen Kraftmeierei eine Politik des Zusammenhalts entgegenzusetzen. Eine Politik der Hoffnung, die keine Ängste schürt. Und eine Politik der Zuversicht, die es erlaubt, anstehende Aufgaben selbstbewusst anzugehen. Kein Land der Welt ist stark genug, um die Klimakrise zu bekämpfen. Kein Staat Europas allein kann der Armut auf dem Kontinent nachhaltig entgegentreten. Und kein Land der Erde wird Wege und Möglichkeiten finden, die Ursachen für Flucht und Migration allein in den Griff zu bekommen. In einer globalisierten Welt kann Verantwortung nicht abgeschoben werden. In einem vereinten Europa kann auch ein kleines Land wie Österreich eine mutige Rolle einnehmen. Eine Rolle, die den Gemeinsinn schärft und die das Gemeinsame vor das Trennende stellt. Durch eine Stärkung zivilgesellschaftlicher Strukturen hier bei uns in Österreich. Durch ein verbindendes Auftreten in Europa. Und durch entschlossenes Handeln in der Hilfe vor Ort weltweit.
Ich bitte Sie, in den kommenden Wochen so zu handeln, wie es dem Respekt vor dem politischen Amt gebührt. Ich habe Vertrauen in Ihre Liebe zu Österreich und zu den Menschen in unserem Land. Bitte setzen Sie sich für ein respektvolles Miteinander ein und vergessen Sie nicht auf jene Menschen in unserem Land, die unsere Hilfe in besonderer Weise benötigen.
Es liegt auch in Ihrer Hand: Sie haben die Wahl.
Herzlich, Michael Landau, Präsident Caritas Österreich
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