- 06.12.2016, 17:12:52
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Brandstetter im Justizausschuss: Strafrechtsreform zeigt Wirkung
Deutlich mehr Anklagen wegen sexueller Belästigung und Verhetzung
Utl.: Deutlich mehr Anklagen wegen sexueller Belästigung und
Verhetzung =
Wien (PK) - Die Anfang Jänner in Kraft getretene Strafrechtsreform
zeigt Wirkung. Wie Justizminister Wolfgang Brandstetter die
Abgeordneten heute im Justizausschuss des Nationalrats informierte,
haben die Verschärfungen im Sexualstrafrecht und die Neuformulierung
des Straftatbestands der Verhetzung zu deutlich mehr Anzeigen und
Verfahren geführt. So hat es etwa in den ersten 11 Monaten dieses
Jahres um rund 65% mehr Anklagen wegen sexueller Belästigung gegeben
als im gesamten Jahr 2015. Auch wegen Verletzung der sexuellen
Integrität sind steigende Anzeigen zu verzeichnen. Heute belächle
niemand mehr die neuen Bestimmungen, meinte Brandstetter in
Anspielung auf die seinerzeitige Kritik am "Pograpsch-Paragraphen".
Eine ähnliche Tendenz gebe es auch bei Verhetzungs-Verfahren.
Was das neue Erwachsenenschutzgesetz betrifft, ist Brandstetter
überzeugt, dass er die Einwände von Finanzminister Hans Jörg
Schelling wegen vorübergehender budgetärer Mehrkosten mit einer neuen
Studie ausräumen kann. Kurz vor der Fertigstellung ist eine größere
Reform im Maßnahmenvollzug. Mit Überlegungen, Plattformen wie
Facebook als Medium zu werten und damit unter das Medienrecht zu
stellen, hat der Minister keine Probleme. Weitere Themen der
Aussprache mit den Mitgliedern des Justizausschusses über aktuelle
Themen waren der Strafvollzug, in Aussicht genommene Änderungen im
GmbH-Gesetz, die beabsichtigte Wiedereinführung des Straftatbestands
"Behördentäuschung" und neue strafrechtliche Bestimmungen zum
effektiveren Vorgehen gegen die so genannten "Reichsbürger" und
ähnliche Bewegungen.
Sachwalterschaft ist in vielen Fällen vermeidbar
Dass eine Reform bei der Sachwalterschaft notwendig ist, ist für
Brandstetter unbestritten. Ein Modellversuch an 18
bezirksgerichtlichen Standorten habe gezeigt, dass es tatsächlich zu
viele Sachwalterschaften in Österreich gebe und die Autonomie und
Selbstbestimmung oft zu Unrecht durch SachwalterInnen substituiert
werde. Und zwar in einem Ausmaß, das er sich so gar nicht erwartet
habe, sagte Brandstetter. In bis zu zwei Drittel der Fälle wäre durch
anderweitige Unterstützung der Betroffenen eine Sachwalterschaft
vermeidbar. Das neue Modell würde in diesem Sinn langfristig auch
Einsparungen bringen, zur Überprüfung aller bestehenden Fälle nach
neuem Recht bräuchte es aber zunächst mehr Budgetmittel. Es geht um
13 Mio. €, bestätigte Brandstetter kolportierte Zahlen.
Den Finanzminister will Brandstetter mit einer bei der
Wirtschaftsuniversität in Auftrag gegebenen Studie zur langfristigen
Kostenabschätzung über den Zeitraum von fünf Jahren hinaus
überzeugen. Zudem wies er auf Verpflichtungen Österreichs durch die
UN-Konvention hin. "Wir werden das im Plenum durchkriegen", zeigte er
sich gegenüber SPÖ-Justizsprecher Johannes Jarolim optimistisch.
Dieser hatte zuvor scharfe Kritik an der Blockade des Finanzministers
geübt.
Eine rasche Neuregelung des Sachwalterrechts forderten auch Christoph
Hagen (T) und Gertrude Aubauer (V). Es sei praxisfern, dass ein
Rechtsanwalt bis zu 70 KlientInnen betreuen dürfe, meinte Hagen.
Aubauer versicherte, dass die geplante Reform der ÖVP ein ganz großes
Anliegen sei. Es gehe um Selbstbestimmung, man müsse Entmündigungen
erschweren.
Entwurf zur Reform des Maßnahmenvollzugs ist "nahezu fertig"
Was den Maßnahmenvollzug betrifft, stellte Brandstetter die baldige
Vorlage eines Gesetzentwurfs in Aussicht. Dieser sei nahezu fertig,
derzeit würde die geplante Neuregelung von Fachleuten geprüft.
Brandstetter hält einen Paradigmenwechsel und eine echte Neuordnung
für notwendig. Man müsse bestehende Reibungsverluste an den
Schnittstellen beseitigen. Laut Brandstetter soll sich die Art der
Unterbringung von psychisch beeinträchtigten Straftätern ändern, die
gesundheitliche Betreuung der Betroffenen soll nicht mehr im
bisherigen Umfang ausgelagert werden. "Wir müssen diese Aufgabe
wahrnehmen", sprach sich Brandstetter für die Übernahme der
Verantwortung durch den Bund aus.
Strafvollzug: Brandstetter rechnet mittelfristig mit Neubauten
Auch an der Reform des Strafvollzugs wird laut Brandstetter weiter
gearbeitet, wobei er davon ausgeht, dass sich der Prozess über
mehrere Jahre erstrecken wird. Bis Jahresende erwartet er Ergebnisse
einer bei der Donauuniversität Krems beauftragten
"Standortoptimierungsstudie". "Wir werden einiges an Neubauten
brauchen", glaubt der Justizminister. Zwar sei es gelungen, die
Situation durch Organisationsänderungen zu verbessern, mittelfristig
werde es aber mehr Budgetmittel brauchen. Herausforderungen sind für
Brandstetter unter anderem das erhöhte Aggressionspotential in
Haftanstalten und neue technologische Entwicklungen. So habe es
kürzlich erstmals einen Überflug einer Drohne über eine Justizanstalt
gegeben.
Die Einschätzung von Grün-Abgeordnetem Albert Steinhauser, wonach das
Justizministerium bei der von der Regierung beschlossenen
Sicherheitsoffensive zu kurz gekommen ist, wollte Brandstetter nicht
teilen. Derzeit sei eher das Problem, dass man vorhandene Planstellen
nicht besetzen könne, weil geeignete BewerberInnen fehlen, sagte er.
Zudem verfüge man über Rücklagen. Er rechnet aber dann mit einer
Nagelprobe, wenn es um notwendige Ausbauten gehen wird.
Steinhauser hatte zuvor beklagt, dass das Justizministerium trotz
offensichtlicher Missstände im Strafvollzug weder aus dem
Sicherheitspaket noch aus dem Anti-Terror-Paket einen Cent erhalten
habe. Während nunmehr offenbar sogar für sämtliche Musikkapellen der
Militärmusik genügend Geld da sei, sei der Strafvollzug komplett leer
ausgegangen.
Kritische Anmerkungen zur vereinbarten Bereitstellung von gepanzerten
Fahrzeugen des Verteidigungsministeriums für Gefangenentransporte
kamen von Christian Lausch (F) und Nikolaus Scherak (N). Es habe bei
Gefangenentransporten noch nie Probleme gegeben, meinte Lausch.
Scherak sieht die zunehmende Heranziehung des Bundesheeres für
Assistenzleistungen skeptisch. Für Brandstetter ist die Kritik
allerdings nicht nachvollziehbar. Der Wunsch nach gepanzerten
Fahrzeugen für den Bedarfsfall sei von den JustizwachebeamtInnen an
ihn herangetragen worden. Konkrete Einsätze seien derzeit nicht
nötig, man sei nun aber vorbereitet. Nicht argumentierbar wäre es
laut Brandstetter gewesen, hätte sich das Justizministerium selbst
solche Fahrzeuge angeschafft.
Ministerium will gegen "Reichsbürger" vorgehen
Verteidigt wurde vom Justizminister auch der geplante neue
Straftatbestand "Staatsfeindliche Bewegung". Das Justizministerium
sei vom Innenministerium gebeten worden zu überprüfen, inwieweit die
geltenden strafrechtlichen Normen ausreichen, um gegen Bewegungen
vorzugehen, die den Staat zur Gänze ablehnen, und habe
Änderungsbedarf festgestellt. Es gebe zwar den Tatbestand der
staatsfeindlichen Verbindung, da dieser aber einen hohen Grad an
Organisationsdichte voraussetze, sei er für lose Bewegungen wie die
"Reichsbürger" nicht geeignet. Diese könnten für den Staat aber sehr
wohl gefährlich sein, warnte Brandstetter.
Der Justizminister stimmte FPÖ-Abgeordnetem Harald Stefan zu, dass
man aufpassen müsse, nicht zu stark in Richtung Gesinnungsstrafrecht
zu gehen, er sieht aber einen klaren Bedarf an Bestimmungen, um
staatsfeindliche Bewegungen in die Schranken weisen zu können.
Abgestellt werden soll ihm zufolge auf gesetzeswidrige Aktionen, die
sich gegen Hoheitsrecht bzw. Organwalter werden. Noch ist die
Formulierung nicht fix, man werde über den Vorschlag weiter
diskutieren.
Straftatbestand "Behördentäuschung" könnte wieder eingeführt werden
Anders als Grün-Abgeordneter Steinhauser hält Brandstetter auch die
Wiedereinführung des Straftatbestandes "Behördentäuschung" für
gerechtfertigt. Wer eine Behörde gezielt täuscht, um einen ihm nicht
zustehenden Rechtsstatus zu erlangen, solle, analog zum
Straftatbestand Sozialbetrug, auch strafrechtlich belangt werden
können. Im Jahr 1987, als dieser Straftatbestand abgeschafft wurde,
habe es ein anderes Klima in Österreich gegeben, meinte der Minister.
Damals habe man Behördentäuschung vielfach als Kavaliersdelikt
gesehen. Was mit dem Vorschlag werde, könne er noch nicht abschätzen.
Steinhauser sieht jedenfalls die Gefahr der Kriminalisierung
zahlreicher BürgerInnen.
Einen höheren Strafrahmen will Brandstetter überdies für körperliche
Attacken gegen Polizei- und JustizwachebeamtInnen verankern. Seiner
Ansicht nach gibt es derzeit zu große strafrechtliche Unterschiede
zwischen Attacken ohne bzw. mit Verletzungsfolgen.
Brandstetter: Es gibt kein Sonderstrafrecht für "Internet-Giganten"
In einem intensiven Gedankenaustausch mit Kanzleramtsminister Drozda
steht Brandstetter in Bezug auf das Thema Hassposting. Er sehe kein
Problem in Überlegungen, dass Plattformen wie Facebook als Medium
gelten und damit dem Medienrecht unterliegen sollen, betonte er.
Ausdrücklich bekräftigte Brandstetter, dass es kein Sonderstrafrecht
für "Internet-Giganten" gibt. Man habe gegenüber Facebook
klargestellt, dass auf Aufforderungen von Staatsanwaltschaften zur
Löschung strafrechtlich relevanter Inhalte innerhalb einer
angemessenen Zeitspanne zu reagieren sei. Ansonsten müsse man einen
Vorsatz auf Verbreitung derartiger Inhalte im Netz unterstellen.
Generell meinte der Justizminister, man könne den Internet-Giganten
nur auf EU-Ebene einigermaßen auf Augenhöhe begegnen.
Dieter Brosz (G) wertete den Vorschlag, Plattformen wie Facebook und
Twitter als Medium zu definieren, hingegen als nicht schlüssig. Wenn
man Plattformbetreiber für sämtliche Inhalte von Postings zur
Verantwortung ziehe, verhindere man alle offenen Diskussionsforen,
gab er zu bedenken. Man müsse vielmehr Maßnahmen setzen, um die
rasche Löschung von Hasspostings zu erwirken. Ein Problem sieht Brosz
auch darin, dass es PrivatklägerInnen oft nicht möglich ist, die
Hassposter zu identifizieren, überdies drohe man auf Verfahrenskosten
sitzen zu bleiben.
In Bezug auf die neue Speichermedienabgabe will Brandstetter das
laufende Verfahren vor dem OGH abwarten. Abgeordneter Wolfgang Zinggl
(G) hatte zuvor darauf hingewiesen, dass sich Amazon weigere, die
Abgabe zu zahlen, mit der Begründung, dass das Geld nicht allen
Betroffenen zugutekomme. Für ihn ist die Rechtsunsicherheit auch
insofern ein Problem, als die Verwertungsgesellschaften nun Gelder
einbehalten, um Rücklagen zu bilden.
Erleichterung von Firmengründungen: Einige Fragen noch offen
Von FPÖ-Abgeordnetem Stefan auf das vom Finanzministerium in
Begutachtung geschickte Deregulierungsgesetz angesprochen, hielt
Brandstetter fest, auch für ihn sei in Bezug auf das GmbH-Gesetz noch
einiges offen. Grundsätzlich unterstütze er aber das Bemühen der
Regierung, im Zuge der Entbürokratisierungsoffensive Firmengründungen
zu vereinfachen. Man müsse jedoch eine vernünftige Balance finden.
Stefan hatte zuvor kritisiert, dass man Maßnahmen zur Bekämpfung von
Geldwäsche und zur Verhinderung von Sozialbetrug konterkariere, wenn
man die Möglichkeit eröffne, Firmen per Handysignatur zu gründen.
(Fortsetzung Justizausschuss) gs
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