Podiumsdiskussion: Zukunftsfähig bestellen und vergeben.
Der Ausschuss Nachhaltiges Bauen der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen diskutierte über die Vergaberechtsnovelle
Wien (OTS) - „Zukunftsfähig bestellen und vergeben“ lautete der Titel der Podiumsdiskussion des Ausschusses Nachhaltiges Bauen der Bundeskammer der ZiviltechnikerInnen, die am Mittwoch, dem 22. Juni 2016, am Erste Bank Campus vor zahlreichen Interessierten stattfand. Nach Impulsvorträgen von der Vorsitzenden des Ausschusses, Architektin Ursula Schneider, und dem Juristen Christian Fink folgte unter der Moderation von Walter Chramosta eine Debatte zur Einflussnahme der Vergaberechtsnovelle aus dem März 2016 und der damit einhergehenden Stärkung des Bestbieterprinzips auf den Stellenwert von Nachhaltigkeit im Vergabeprozess. Dabei wurde insbesondere auf die Relevanz der Bestellqualität von öffentlichen AuftraggeberInnen eingegangen.
Die Ausschussvorsitzende Ursula Schneider leitete den Abend mit einem Impulsstatement zur Wichtigkeit nachhaltigen Bauens ein. Unter anderem zeigte sie anhand einer Studie des Klima- und Energiefonds, dass die durchschnittlichen Folgekosten von Klimaveränderungen für Österreich derzeit bei rund einer Milliarde Euro jährlich liegen. Gleichzeitig hat der CO2-Gehalt der Atmosphäre 2015 erstmals die Grenze von 400 ppm überschritten. Schneider zeigte auf, welche Maßnahmen im Gebäudebereich erforderlich wären, um diesen Entwicklungen entgegenzusteuern und EU-Klimavorgaben zu erreichen. Dabei spiele unter anderem die Klimasensitivität der Gebäude und eine Bewertung über den Lebenszyklus eine wesentliche Rolle. Die Verantwortung liege hier aber nicht nur bei der Politik, sondern vielmehr bei AuftraggeberInnen, deren Zieldefinitionen und PlanerInnenauswahl zur notwendigen Bestellqualität und Nachhaltigkeit im Bau führen müsse.
„Das Vergaberecht verhindert Nachhaltigkeitskriterien nicht. Bisher nicht und zukünftig auch nicht“, so die Kernaussauge von Christian Fink, Rechtsanwalt und Experte für Vergaberecht. In der Novelle aus dem März 2016 sei der Begriff „Nachhaltigkeit“ kein einziges Mal zu finden. Jedoch werden das Bestbieterprinzip und die Qualität als Vergabekriterium durch besagte Novelle gestärkt und für Aufträge mit einem geschätzten Auftragswert von 1 Million Euro verpflichtend. Dies wirke sich aber nicht direkt auf Nachhaltigkeitskriterien aus. Durch die Vergabe- und Sektorenrichtlinien 2014, deren Umsetzung in Österreich bereits seit 18. April 2016 fällig ist und die Vorgabe von Nachhaltigkeitszielen vorsieht, sind aber baldige Änderungen absehbar. Somit wird das Wort „Nachhaltigkeit“ voraussichtlich auch in das Bundesvergabegesetz Einzug halten.
Walter Chramosta, Berater der Kammer der ZiviltechnikerInnen in Sachen Wettbewerbs- und Vergabewesen, moderierte die folgende Podiumsdiskussion und leitete diese mit einem Statement des scheidenden Rechnungshofpräsidenten Josef Moser zur nachhaltigen Entwicklung Österreichs ein: „Es ist Zeit, dem Wollen ein Tun folgen zu lassen.“ Denn Handlungsbedarf sieht auch Chramosta auf allen Ebenen der Österreichischen Politik und der AuftraggeberInnen, da viele Vergabeverfahren nicht in der Lage seien, den Begriff von Nachhaltigkeit zu erfassen und kontrolliert zu handeln.
80 bis 90 % der öffentlichen Beschaffungsvorgänge weisen Schwachstellen im Vergabeprozess bzw. Verstöße gegen die Bestimmungen des Bundesvergabegesetzes auf, brachte Hermann Primig, Leiter der Abteilung für Bauangelegenheiten im Rechnungshof, die derzeitige Situation im Bestellwesen zu Beginn der Podiumsdiskussion auf den Punkt. Dies zeige auf, dass die Anwendung des stetig komplexer werdenden Bundesvergaberechtsgesetzes bei bestem Willen der AuftraggeberInnen eine enorme Herausforderung für diese sei. Vor allem kleinere Gemeinden wären von der Komplexität der rechtlichen Vorgaben überfordert. Daraus entstünden nicht nur Fehler in den Prozessen, sondern auch beträchtliche Transaktionskosten, die bis zu 15 % des Auftragswertes ausmachen würden. Architektin Hemma Fasch warf an dieser Stelle ein, dass es sich weniger um „Komplexität“, sondern vielmehr um „Kompliziertheit“ des Bundesvergabegesetzes handle, die dessen korrekte Anwendung für AuftraggeberInnen fast unmöglich mache. In ihren Überlegungen ging sie bis zur Sinnhaftigkeit der Gesetzgebung zurück: Das Bundesvergabegesetz werde von Menschen für Menschen geschrieben, um Vergabeprozesse im Sinne der Gesellschaft zu gestalten, so auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Deswegen müsse es doch im Interesse des Gesetzgebers sein, es so zu gestalten, dass es für AnwenderInnen les- und bewältigbar ist. Gleichzeitig plädierte sie für eine Kontrolle des Bestellprozesses, da von Seiten der PlanerInnen schlichtweg kein nachhaltiges Bauen ohne die entsprechenden Bestellqualitäten und den Willen der AuftraggeberInnen möglich sei. Als vorbildliches Beispiel lobte sie an dieser Stelle die Ausschreibungsverfahren der Bundesimmobiliengesellschaft.
Wolfgang Gleissner, Geschäftsführer der Bundesimmobiliengesellschaft, führte diese Überlegungen weiter und warnte vor dem Szenario, dass der immer größer werdende Aufwand der Umsetzung für AuftraggeberInnen zu einer Verschiebung des Vergabeprozesses von der traditionellen Einzelgewerke- zu einer Generalunternehmerausschreibung führen könne. Denn Generalunternehmer tendierten zum Aufbau einer Subunternehmerkette, wodurch genau das Gegenteil dessen bewirkt würde, was durch die Stärkung des Bestbieterprinzips im Bundesvergabegesetz erreicht werden sollte. Im Sinne des Nachhaltigkeitsthemas relativierte Helmut Moser, Gruppenleiter der Sektion III/A im BMBF, wie schon Christian Fink zuvor: Das bis jetzt geübte Vergaberecht bot genug Möglichkeiten, um nachhaltig zu bauen. Was zähle, sei der Wille der BauherrInnen etwas aus diesen Möglichkeiten zu machen. „Das Vergaberecht bietet nur den formalen Rahmen des Verfahrens, die Qualität der Leistung und die Formulierung der Qualitätskriterien waren und sind Bestandteil der Leistungsbeschreibung.“ Das Festhalten von noch mehr Regelungen im Vergaberecht würde die Situation nicht verbessern. „Wir legen die Latte so hoch, dass wir gemütlich darunter durchgehen können“, resümierte Wolfgang Gleissner.
Was ein zukunftsträchtiges Bundesvergabegesetz im Sinne der Stärkung des Bestbieterprinzipes laut Hermann Primig benötigen würde, wäre das Einbeziehen von Lebenszykluskosten: „Man spricht ständig von Baukostenüberschreitungen, von Lebenszykluskostenüberschreitungen hört man aber nie.“ Laut Primig wäre ein Monitoring für BauherrInnen notwendig, um Lebenszykluskosten über etwa 50 Jahre feststellen zu können.
Alfred Jöchlinger, Geschäftsführer des Auftragnehmerkatasters Österreich, betonte hingegen den Beratungsprozess, der maßgeblich für die Bestellqualität sei – Kriterien und rechtliche Rahmenbedingungen könnten aber Vertrauen und das Wahrnehmen von Verantwortung nicht ersetzen, da die Entscheidung letztlich bei den BauherrInnen liege. Dabei warf er allerdings auch ein, dass es mittlerweile „mehr zertifizierte als qualifizierte“ DienstleisterInnen gäbe, was die Nachhaltigkeit von Gebäuden auch bei guter Bestellqualität beeinträchtigen könne. „Wir kaufen eigentlich nur Vertrauen in die DienstleisterInnen, in der Hoffnung, dass sie die versprochenen Leistungen erbringen“, bestätigte auch Helmut Moser.
Am Ende einer langen Diskussion waren sich somit alle Podiumsgäste einig, dass der rechtliche Überbau des Bundesvergabegesetzes per se Nachhaltigkeit nicht verhindere, durch seine Komplexität und eine steigende Anzahl von Regelungen im Sinne des Bestbieterprinzips und der Nachhaltigkeit im Bau jedoch nicht notwendigerweise zielführend, vielleicht sogar hinderlich sei. Die Anwendung des Gesetzes sowie die Verantwortung und der Wille zu nachhaltigem Bauen liegen nach Meinung aller SprecherInnen bei den AuftraggeberInnen – deren Bestellqualität sei entscheidend. Ob Lebenszykluskosten eines Tages Teil eines zukunftsträchtigen Bundesvergabegesetzes werden, bleibt offen. Änderungen sind aber bereits im Herbst 2016 zu erwarten.
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