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TIROLER TAGESZEITUNG, Ausgabe vom 24.02.2016, Leitartikel von Mario Zenhäusern: "Politik zum Abgewöhnen"

Innsbruck (OTS) - So schnell ändern sich die Zeiten: Noch vor einem
halben Jahr marschierten Deutschland und Österreich Seite an Seite
los, um im Alleingang das Flüchtlingsproblem zu schultern. Gemeinsam
beschlossen die beiden Regierungschefs Angela Merkel und Werner
Faymann die Öffnung der Grenzen für Asylwerber aus Syrien. Was aus
damaliger Sicht mutig und angesichts der unhaltbaren Zustände in
Ungarn sowie an der österreichischen Südgrenze auch nachvollziehbar
erscheint, ist mittlerweile ein Spaltpilz mit ungeheurer
Explosivkraft. Nicht nur für Europa, das auf dem besten Weg ist, an
dieser Frage zu scheitern.
Auch die demonstrative Partnerschaft zwischen Deutschland und
Österreich ist Geschichte. Spätestens seit Werner Faymann einen
Kurswechsel um 180 Grad vollzog und der Einführung von Obergrenzen
und Tageskontingenten zustimmte, ist es aus mit der Vertraulichkeit.
Merkel, inzwischen vollkommen isoliert, reagiert mit Unverständnis,
ihr Innenminister de Maizière sogar mit unverhohlenen Drohungen auf
die neue Situation.
Letztlich hat die deutsche Bundeskanzlerin selbst für die
Eskalation gesorgt. Ihre Einladung an die Flüchtlinge und ihre
Anordnung, die Dublin-II-Verordnung nicht anzuwenden („Wir schaffen
das!“), haben die Völkerwanderung erst ausgelöst. Die Einführung von
Kontrollen an der bayerisch-österreichischen Grenze und die
Beschränkung auf 50 Asylwerber pro Stunde und Grenzübergang zwangen
Österreich in weiterer Folge selbst zum Handeln. Vorläufiger
Höhepunkt dieser Politik zum Abgewöhnen ist, dass Deutschland die
Völkerwanderung auf der Balkanroute kritiklos zur Kenntnis nimmt,
gleichzeitig aber Österreich das Durchwinken von Flüchtlingen
vorwirft und mit Konsequenzen droht. Dabei lassen die Millionen an
Hilfsbedürftigen im Nahen Osten und in Zentralafrika Österreich gar
keine andere Wahl, als Vorkehrungen zu treffen, um nicht überrannt zu
werden.
Es ist abzusehen, dass nun nach und nach jeder Staat die Schotten
dicht macht und die Aufgabe, den Flüchtlingsstrom zu stoppen, an
seinen jeweils südlichen Nachbarn delegiert. Das Problem landet
schließlich dort, wo seine Behandlung am ehesten Erfolg verspricht:
an Europas Außengrenzen. Es klingt zwar paradox, aber was ein
möglicher Ausweg aus der Krise sein mag, markiert auch das Ende der
Europäischen Union. Denn dann haben jene gesiegt, die
nationalstaatliche Egoismen über den Gemeinschaftssinn stellen.

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT

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