• 07.02.2016, 22:00:01
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TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 8. Februar 2016 von Florian Madl "Was heißt schon hundsgemein?"

Innsbruck (OTS) - Die Tourismus-Werbung suggeriert Erlebnisse, die
Industrie Sicherheit, der Zeitgeist Vergnügen. Der Lawinenabgang am
Wochenende stellt unseren Zugang zur Natur in Frage, denn die ist
kein Dienstleister und schon gar nicht kalkulierbar.

Mag sein, dass dieser Winter einer ist, der uns Sport im freien
Skigelände vergällt. Doch ist er wirklich „hundsgemein“, wie ihn
Lawinenexperte Rudi Mair in einem TT-Interview bezeichnete? Muss der
instabile Schneedecken-Aufbau, diese Laune der Natur, nicht als
solche hingenommen werden, weil sich doch stets der Mensch dem
anzupassen hat und beileibe nicht umgekehrt?
Diese allgemeine Verdrossenheit, bei schönstem Wetter nicht Herr der
Lawinensituation zu sein, dieser Ärger über die Unabwägbarkeit,
bringt ein Stück weit auch den Zeitgeist zum Ausdruck, unseren Zugang
zur Natur im weiteren und zum Schnee im engeren Sinn: Fällt der
nämlich nicht wie bestellt Anfang Dezember, bricht Wehklagen aus. Und
erweist sich die Schneedecke nicht in jenem Ausmaß als robust, dass
wir auf ihr nach Lust und Laune „powdern“ können, sehen wir uns um
ein Freizeitvergnügen betrogen.
Das gilt wohl auch für jene Touristen, denen wir mit Bildern von tief
verschneiten Hängen ungetrübtes Wintersportvergnügen in Aussicht
stellen: großflächig in allerhand Tourismusbroschüren, Pistensujets
sind dort in der Unterzahl. Wer bei uns einem Flieger entsteigt, muss
der Meinung sein, der Tiefschneeteppich ende am Rollfeld. Die
Industrie reagierte darauf, sie preist den breitspurigen Freeride-Ski
als Vehikel unserer Träume an, die durch Lawinen-Airbag und einem Set
aus Sonde/Schaufel/Pieps in Vollkasko gebettet sind. Abgedrehte
Stunt-Videos samt Sprungvariationen um alle Körperachsen lassen das
Risiko kalkulierbar erscheinen, mit Bergführern geht die Gefahr eines
Lawinenabgangs nahezu gegen null. Ist das so? Korrelieren
Lawinenwarnstufen etwa mit Schulnoten, garantiert also eine „3“
(Befriedigend) weitgehend sicheres Wintersportvergnügen, weil „4“ und
„5“ noch höheres Risiko bedeuten? Mitnichten! „3“ bedeutet
„erhebliche Gefahr“, also keine befriedigende Lawinensituation. „3“
suggeriert Sicherheit, kann diese aber niemals gewährleisten. Ein
Versprechen, ähnlich brüchig wie die Schneedecke. Dieses Versprechen
können oft auch jene nicht halten, die Verantwortung für eine Gruppe
übernommen haben. Dass am Samstag fünf Freerider ihr Vertrauen in
einen Gruppenführer mit dem Leben bezahlten, ist tragisch. Dass sich
dieser Experte über Warnungen hinwegsetzte, fahrlässig. Und dass
Bergretter ihr Leben aufs Spiel setzen mussten, um noch Schlimmeres
zu verhindern, unzumutbar.
Es läuft etwas falsch in unserem Zugang zur Natur. Und die
Schneedecke ist dafür nicht verantwortlich zu machen.

OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PTT

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