Presserat: Twitter-Meldung der „Kronen Zeitung“ verstößt gegen Unschuldsvermutung
Wien (OTS) - Der Senat 2 des Presserats beschäftigte sich mit der Meldung „+++ BREAKING +++ Sie wurden dem Haftrichter vorgeführt. Das sind die Todes-Schlepper der A4:“ auf dem Twitter-Account der „Kronen Zeitung“, abrufbar am 31.08.2015. Der Meldung war ein Foto beigegeben, das zwei Verdächtige zeigt. Der Senat erkannte in dieser Veröffentlichung eine Verletzung der Unschuldsvermutung.
Die Berichterstattung in der Printausgabe der „Kronen Zeitung“ über diesen Fall beanstandete der Senat hingegen nicht.
Der Senat vertritt die Auffassung, dass die Veröffentlichung von Fotos jener mutmaßlichen Schlepper, die für den Tod von 71 Menschen verantwortlich sind, aufgrund der Schwere des Falles ausnahmsweise zulässig ist: Das Informationsinteresse der Allgemeinheit überwiegt hier gegenüber den Persönlichkeitsinteressen der Betroffenen.
Zu überprüfen gilt jedoch auch, ob bei den Veröffentlichungen das Gebot der Unschuldsvermutung beachtet wurde, da die Abgebildeten zwar einer Straftat verdächtigt werden, aber dafür noch nicht verurteilt worden sind.
In der Berichterstattung in der Printausgabe der „Kronen Zeitung“ wird auf die Unschuldsvermutung hingewiesen. Im Text des Berichts werden die Verdächtigen zudem als „mutmaßliche Täter“ bezeichnet. In der Twitter Meldung wurden die Verdächtigen als „Todes-Schlepper“ bezeichnet, die beiden auf einem dazu geposteten Foto abgebildeten Männer sind gut zu erkennen. Hier wurde demgegenüber weder auf die Unschuldsvermutung hingewiesen noch angemerkt, dass es sich bei den Abgebildeten bloß um „mutmaßliche Täter“ handelt. Die Twitter-Meldung kommt einer Vorverurteilung der Abgebildeten gleich.
Der Senat stellt diesbezüglich einen Verstoß gegen Punkt 5 des Ehrenkodex fest (Persönlichkeitsschutz).
Die betroffene Medieninhaberin wurde aufgefordert, die Entscheidung freiwillig auf dem Twitter-Account der „Kronen Zeitung“ zu veröffentlichen.
SELBSTÄNDIGES VERFAHREN AUFGRUND VON MITTEILUNGEN MEHRERER LESERINNEN UND LESER
Der Presserat ist ein Verein, der sich für verantwortungsvollen Journalismus einsetzt und dem die wichtigsten Journalisten- und Verlegerverbände Österreichs angehören. Die Mitglieder der Senate des Presserats sind weisungsfrei und unabhängig.
Im vorliegenden Fall hat der Senat 2 des Presserats aufgrund von Mitteilungen mehrerer Leserinnen und Leser ein Verfahren durchgeführt (selbständiges Verfahren aufgrund von Mitteilungen). In diesem Verfahren äußert der Senat seine Meinung, ob eine Veröffentlichung den Grundsätzen der Medienethik entspricht. Die Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“ hat von der Möglichkeit, an dem Verfahren teilzunehmen, keinen Gebrauch gemacht.
Bisher hat sich die Medieninhaberin der „Kronen Zeitung“ der Schiedsgerichtsbarkeit des Presserats nicht unterworfen.
Rückfragen & Kontakt:
Andreas Koller, Sprecher des Senats 2, Tel.: 01-53153-830