EU-Kommission bedroht sozial geregelten Wohnungsmarkt
Neues Arbeitspapier der Europäischen Kommission fordert "Entfesselung der Mietwohnungsmärkte"
Wien (OTS) - Ein brisantes Arbeitspapier der Generaldirektion Finanzen (GD ECFIN) der Europäischen Kommission gibt Anlass zu großer Sorge im Hinblick auf einen sozial ausgewogenen Wohnungsmarkt. Aus Sicht von MieterschützerInnen und ExpertInnen der sozialen Wohnungspolitik europaweit zielt das Dokument auf eine Aufweichung des Mieterschutzes und die Aufhebung von Mietpreisbindungen ab. Es bedeutet eine Absage an die gemeinnützige Wohnungswirtschaft und ist damit konjunkturpolitisch vollkommen kontraproduktiv. In letzter Konsequenz kann es ein Ende der Steuerungsfunktion einer sozialen Wohnungspolitik unter völliger Außerachtlassung des Subsidiaritätsprinzips zur Folge haben. Dies erklärten Georg Niedermühlbichler, Präsident der österreichischen Mietervereinigung, und Michaela Kauer, Wiener EU-Expertin für Städtepolitik und Daseinsvorsorge und EP-Kandidatin der SPÖ am Mittwoch in Wien.
Niedermühlbichler: "Aufweichung des Mieterschutzes"
Das sehr technisch ausgearbeitete Papier stellt die Regulierung des Mietwohnungsmarktes an den Pranger. Sie sei verantwortlich für die Destabilisierung des Wohnungsmarktes. So heißt es u.a. "Mietpreisregelungen scheinen eine destabilisierende Rolle im Wohnungsmarkt spielen, sie erhöhen die Volatilität bei Immobilienpreisen bei größeren Krisen". Um Preisschwankungen auf dem Wohnungsmarkt zu verhindern, regt das Papier der Kommission die Weiterentwicklung des privaten Mietwohnungsmarktes an - und nicht die Stärkung des öffentlichen Sektors, was auch konjunkturpolitisch vernünftig wäre und soziale Spannungen in einer Gesellschaft verhindern bzw. abbauen kann. Die Schlussfolgerungen des Papiers zielen auf ein "Entfesselung des vollen Potenzials der Mietwohnungsmärkte" ab - "schon diese Formulierung muss uns MieterschützerInnen hellhörig machen, so Niedermühlbichler. Unter dem Deckmantel einer Forderung nach "effizienten, fairen und raschen Verfahren" werde in Wahrheit der Mieterschutz aufgeweicht, "wir wissen ja, wer in der Regel am längeren Ast sitzt, wenn es keine Organisationen gibt, die die MieterInnen vertreten."
Kauer: Studie der Kommission ungenau und unvollständig, aber in der Logik des Primats des Marktes
"Es ist genau das eingetreten, wovor ich seit längerer Zeit warne", sagte Kauer, die seit mehreren Jahren zum Bereich der öffentlichen Dienste und der Daseinsvorsorge in Wien und Europa arbeitet, "die Europäische Kommission konstruiert einen Regelungsbedarf und will ihn im Mechanismus des "Europäischen Semesters" mit entsprechenden Länderempfehlungen umsetzen." Das Papier greife politisch, ökonomisch und EU-rechtlich zu kurz und trage dem sehr heterogenen Bild der Wohnungswirtschaft in Europa nicht Rechnung.
"Das Grundrecht auf Wohnen und die Zielsetzung des sozialen Zusammenhalts bleiben unerwähnt. Die Tatsache des generellen Marktversagens im Wohnungssektor sei ausgeblendet - es werde nur insofern erwähnt, als "Informationsdefizite bestehen". Wichtige Faktoren, kommen gar nicht vor, insbesondere der soziale Wohnbau, der in Wahrheit das Angebot "verzerrt" wie die Mietbeihilfen die Nachfrage "verzerren", führte Kauer aus. "Wenn wir dann noch wissen, dass in der Europäischen Kommission intern bereits seit einiger Zeit über einen Anteil von maximal sechs Prozent geförderten Wohnbaus am Gesamtwohnungsbestand gesprochen wird, können wir uns ausrechnen, wohin die Reise geht, wenn sich an dieser strikten Marktorientierung nichts ändert."
Kritik auch aus Deutschland und von Internationaler Mietervereinigung IUT
Kritik an dem Papier und den daraus zu befürchtenden Konsequenzen äußert bereits auch Franz-Georg Rips, Präsident des Deutschen Mieterbunds. "Gerade jetzt, wo Deutschland aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt hat und wieder in Richtung mehr Mietpreisbremse geht, sind solche Überlegungen der EU-Kommission äußerst kontraproduktiv. Das geht an den Bedürfnissen der Menschen vorbei." Ebenso besorgt zeigt sich Barbara Steenbergen, Leiterin des Brüssel-Büros der Internationalen Mietervereinigung. "In Brüssel beobachten wir schon länger Angriffe auf Mieterrechte, dieser Vorschlag lässt völlig außer Acht, dass es europaweit eine große Differenzierung gibt - das geht ganz klar in Richtung Nivelllierung von Mieterschutz nach unten und ist abzulehnen."
Das Papier der Kommission gibt es online (auch in Kurzfassung):
http://www.ots.at/redirect/eueconomicpaper
Rückfragen & Kontakt:
Maga. Nadja Shah
Tel.: 050195-0
Email:zentrale@mvoe.at
www.mietervereinigung.at
http://fb.mvoe.at