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125 Jahre Hainfeld (2): Liessmann: "Für eine Wiedergewinnung des Politischen"

"Für ein Konzept von Demokratie, ohne den Parlamentarismus zu schwächen"

Hainfeld (OTS/SK) - Anlässlich des 125-jährigen Bestehens der Sozialdemokratischen Partei Österreichs hielt Konrad Paul Liessmann, Universitätsprofessor der Universität Wien, eine Rede vor den rund 500 Anwesenden in Hainfeld, der Geburtsstätte der SPÖ. Er sprach über die Errungenschaften der Partei, die Zukunft der Sozialdemokratie, die Folgen des globalisierten Kapitalismus und die daraus resultierenden Ungleichheiten in der Gesellschaft sowie über zukunftspolitische Perspektiven, die Idee der Europäischen Union und das Verhältnis zwischen Staat und Demokratie: "Was meines Erachtens Not tut, ist ein neues Konzept von Demokratie, ohne den Parlamentarismus zu schwächen. Wir brauchen ein europäisches Staatskonzept, das mehr ist als eine Krisenbewältigungsagentur für Banken, die in Not geraten sind. Was Not tut, ist eine Wiedergewinnung des Politischen".

"Der globalisierte Kapitalismus produziert wunderbaren Reichtum für wenige, aber auch Verarmung, Verslumung und Verschmutzung", mit diesen Worten leitete Liessmann seine Rede ein und sprach dabei die ungerechte Verteilung des Reichtums weltweit an, aber: "Mit seinen Möglichkeiten war das 20. Jahrhundert sozial und demokratisch. Wir haben alle Vorstellungen in uns aufgenommen und zur Selbstverständlichkeit werden lassen, die das Thema des sozialdemokratischen Jahrhunderts definieren: Wachstum, Gleichheit, Arbeit, Vernunft, Staat und Internationalismus", zitierte Liessmann den Soziologen Ralf Dahrendorf.

"Die Diskussionen aber stellen sich heute, nach der Krise, ganz anders dar, als damals, als man geglaubt hatte, der Staat habe seine Schuldigkeit getan und kann zu einer kleinen, schlanken Dienstleistungsagentur seiner Bürger werden. Denn heute wissen wir:
Ohne Staat geht fast gar nichts. Wie sich Staat und Demokratie zueinander verhalten, ist eine der brennenden Fragen unserer Zeit", betonte Liessmann.

"Demokratie gibt es schon seit 2500 Jahren, aber in unterschiedlicher Gestalt. Von einer res publica, der wir immer noch die Grundidee der Demokratie verdanken, bis zum neuen Parlamentarismus, wo Politik eine öffentliche, gemeinsame Angelegenheit ist", so Liessmann, aber :"Wir beobachten nicht nur eine Erosion und Schwächung klassischer Institutionen, sondern überhaupt die zunehmende Verdrängung des Politischen durch die Interessen der Ökonomie. Mit der allgemeinen Mobilität geht ein radikaler Wandel der politischen Öffentlichkeit einher. Diese war geprägt von der Grundstruktur des 19. Jahrhunderts und knüpfte an klassische Sozialschichten an. Der Politologe Franz Walter sagt dazu: Struktur und Selbstverständnis traditioneller Parteien haben sich grundlegend gewandelt."

"Die Sozialdemokratie ist in einem Milieu verankert, das sie grundlegend gestaltet hat", sagte Liessmann und verwies auf die Einrichtungen der Sozialdemokratie: Arbeiterbildungsstätten, Volkshochschulen sowie einer Arbeiterzeitung. "All das sollte ein Lebensgefühl ermöglichen, das den einzelnen Mitgliedern und Anhängern dieser Partei Möglichkeiten offeriert, innerhalb dieses sozialen Milieus Karrieren verfolgen zu können. Solch eine Partei hatte ihren Mitgliedern mehr zu bieten als einmal alle paar Jahre in einer Wahlzelle ein Kreuz zu machen", so Liessmann.

Die moderne Chancengesellschaft ohne Kontext zur sozialdemokratischen Solidarität wäre eine ziemlich kalte, betonte Liessmann. "Chancengleichheit muss hergestellt werden, aber in der Chance liegt auch das Menetekel des Scheiterns. Man kann immer auch verlieren. Wer hier nicht mithalten kann, hat rundum und ein für alle Mal verloren. Wir kennen das Problem der Langzeitarbeitslosen und das der Leiharbeiter", denn "Es stellt sich immer dringlicher die Frage, ob das Konzept der Lohnarbeit für die Lebens-, und Überlebensmöglichkeit der Menschen überhaupt ausreicht", betonte Liessmann.

"Die Frage nach dem Staat ist heute immer auch die Frage, welche Mittel und Wege staatlichem Handeln noch zur Verfügung stehen, um ordnungspolitische Aufgaben zu erfüllen und Regeln zu definieren und zu setzen. Denn der Staat soll den Menschen nicht nur ihre Freiheit garantieren, sondern diese auch davor schützen, dass alle Lebensbereiche den Prinzipien des Marktes bzw. den Interessen monopolähnlicher Marktbeherrscher unterworfen werden. Wie lange kämpfen wir schon um die Finanztransaktionssteuer und wie schwer ist es, so etwas einfaches, vernünftiges und nachvollziehbares gegen Minderheiten durchzusetzen?", so Liessmann und weiter: "Man soll eine sinnvolle Grenze zwischen Markt und Gesellschaft suchen. Dinge, auf die Menschen einen Rechtsanspruch haben, können nicht alleine den Märkten überantwortet werden", sagte Liessmann. (Schluss) dm/eg

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