WirtschaftsBlatt-Leitartikel: Nehmen Sie sich die Zeit - von Michael Vorauer
Wir sind "always on", immer drauf, immer am Ball
Wien (OTS) - The times, they are a changin", die Zeiten ändern sich (ganz frei übersetzt), hat Bob Dylan schon 1964 gesungen. Verglichen zu heute muten die 60er-Jahre fast schon beschaulich an. Die Zeiten ändern sich nicht nur laufend, die Zeit selbst vergeht subjektiv immer schneller. Um in der Musik zu bleiben: im Stil von Pink Floyds "Time", in dem das rasante Ticken einer Uhr den Rhythmus vorgibt -der Song ist übrigens auch schon 1974 erschienen.
Das Zeitbudget eines jeden von uns wird täglich schmäler. Das ist nicht nur eine subjektive Empfindung, sondern auch eine Tatsache. Wir sind "always on", immer drauf, immer am Ball, immer erreichbar, unsere Terminkalender sind voll. Kommunikationstechnologien wie Smartphones, E-Mail, Social Media etc. erleichtern uns das Leben, beschäftigen uns aber gleichzeitig permanent. Was unsere Kinder spielend von klein auf mitbekommen, den "gesunden", selbstverständlichen Umgang mit diesen Kommunikationstechnologien, ist für die Älteren unter uns "Lernen". Manch einer übertreibt es mit "always on" - der gelegentliche Blick in den Social-Media-Dienst Twitter betätigt das, oder auch das eine oder andere nächtliche Mail. Zeit wird zur Währung, und die steigt unaufhörlich im Kurs. Für vieles haben wir sie nicht mehr. Den einen "drückt" die Zeit, dem anderen läuft sie davon. Je mehr das Zeitbudget schrumpft, umso stärker wird um Aufmerksamkeit gekämpft, was durch permanentes Selektierenmüssen wieder Zeit stiehlt.
Freilich: Der Always-on-Trend beginnt sich sachte in die Gegenrichtung zu drehen. In Unternehmen wird zunehmend über die Grenzen der Erreichbarkeit diskutiert, über das Abschalten von Diensthandys, das Abrufen von Mails zu Hause. Was ist Freizeit, was ist Dienstzeit? Klar ist dabei, dass tradierte Arbeitszeitmuster nach dem Nine-to-five-Schema in unserer technologisierten Welt nicht mehr zeitgemäß sind. Hier wird sich auch der Gesetzgeber bald etwas einfallen lassen müssen. Die Stechuhr funktioniert nicht mehr.
Aber: Sich "Aus-Zeiten" schaffen zu können, innehalten zu können, zurücktreten zu können, aus der Distanz beobachten zu können, auch mal offline zu sein - aber gleichzeitig nicht den Kontakt zum Geschehen zu verlieren, das werden Fähigkeiten und Erfolgsfaktoren der Zukunft sein. Ein schmaler Grat, auf dem wir zurzeit balancieren, ist das, aber ein Weg, der zu gehen ist. Das zeigen auch die steigenden Burn-out-Zahlen (nur am Rande erwähnt). Nehmen Sie sich die Zeit - Sie werden sie brauchen.
Rückfragen & Kontakt:
WirtschaftsBlatt Medien GmbH
Tel.: 0043160117-305
redaktion@wirtschaftsblatt.at