TIROLER TAGESZEITUNG "Leitartikel" vom 4. Jänner 2013 von Anita Heubacher "Die Wähler sind zu ungebildet"
Innsbruck (OTS) - Utl.: Was passiert, wenn immer mehr Desinteressierte bestimmen, wer uns regiert? Ohne Kandidaten, ohne Parteiprogramm und ohne Inhalte gelingt es Parteien, Stimmen zu lukrieren, in Umfragen, aber auch bei Wahlen.
Den Deutschen mangle es an politischer Bildung. "Die Wähler sind zu ungebildet." So erklärte der Frankfurter FDP-Chef Dirk Pfeil das schlechte Abschneiden seiner Partei im Herbst letzten Jahres. Die Aussage ließ die Wogen hochgehen. Der Politiker wurde durch Sonne, Mond und Sterne gejagt.
Ein Blick auf Wahlergebnisse oder Meinungsumfragen lässt allerdings argwöhnen: Lag der Mann am Ende gar nicht so falsch?
Es ist noch nicht einmal klar, ob Frank Stronach mit seinem Team in Tirol antritt, geschweige denn, wer sein Team sein wird. Es fehlen der Spitzenkandidat und die Inhalte und dennoch heimst Stronach bereits sieben, acht Prozent ein. Bei den Gemeinderatswahlen im April letzten Jahres in Innsbruck wählten vier Prozent der Wähler einen Vertreter der Piratenpartei in den Gemeinderat. Danach sah sich der Mann außer Stande, den Kontrollausschuss zu leiten. Inhalte bei den Piraten: Fehlanzeige. Ideologie: Die hat ausgedient.
Über Politik wenig oder schlecht informiert zu sein, entspricht für manche dem Zeitgeist. Man hat keine Ahnung, wer in der Regierung sitzt und steht dazu. Die schlimmste Kombination, weil keine Hoffnung auf Besserung besteht. Wenn gewünscht, wird das lähmende Nichtwissen zu Protokoll gegeben, in TV-Kameras oder Radio-Mikrophone gestammelt.
Was passiert, wenn immer mehr Desinteressierte bestimmen, wer uns regiert? Wie sich das auf das politische System auswirkt, ist bereits in Ansätzen ablesbar, die gesamte Tragweite lässt sich aber nur erahnen. Eine Tendenz zeichnet sich bereits ab: Die großen Parteien schwinden. Gewinner der Wahl ist die Partei der Nichtwähler. Sie wird zur größten Gruppe.
Dazu tragen auch einige Politiker bei, aber nicht alle. Getrieben vom vermeintlichen Wählerwillen und von der Massenmeinung sträuben sich politische Verantwortungsträger, unliebsame Entscheidungen zu treffen. Dafür wurden sie aber gewählt, um die Rahmenbedingungen zu schaffen. Dafür braucht es gutes Personal. Während in der Wirtschaft alles möglich ist, Manager das zigfache eines einfachen Arbeiters verdienen, verdient der Politiker am besten nichts - unabhängig von seiner tatsächlichen Leistung. Im vorauseilenden Gehorsam verordnet man sich eine Nulllohnrunde. Man könnte auch mit stolz geschwellter Brust sagen, das Geld habe man verdient.
Aber da sind wir wieder bei Sonne, Mond und Sterne.
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