- 22.10.2012, 20:53:08
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Die Gefahr im Krankenbett / Leitartikel von Jochim Stoltenberg
Berlin (ots) - Was den Fall des gestorbenen Babys und des erkrankten
Frühgeborenen in der Berliner Charité so betroffen macht, ist die
Erkenntnis, dass ihre Erkrankung nicht etwa Gott gegeben war oder
ist, sondern durch Menschenhand. Möglicherweise sogar im wahrsten
Sinne des Wortes. Denn mangelnde Handhygiene, also das allenfalls
flüchtige Waschen der Hände, gilt als eine der gefährlichsten Sünden
auch in deutschen Krankenhäusern. Noch wird in der Frühchen-Station
auf dem Campus des Rudolf-Virchow-Klinikums fieberhaft nach der
Quelle des Keims gefahndet. Traurige Wahrheit allerdings ist, dass es
in deutschen Krankenhäusern um die Hygiene nicht so bestellt ist, wie
es notwendig wäre.
Es ist ja kein Zufall, dass der Bundestag im August letzten Jahres
ein neues Hygiene-Gesetz verabschiedet und die für die Umsetzung
verantwortlichen Länder aufgefordert hat, jetzt ihrerseits
entsprechende Verordnungen zu erlassen und für deren Umsetzung zu
sorgen. In Berlin gibt es eine solche Verordnung seit Mitte des
Jahres. Gesundheitssenator wie Charité haben sich offensichtlich auch
korrekt verhalten, als sie sogleich nach der Diagnose der
lebensbedrohlichen Keime das Robert-Koch-Institut informiert und um
Amtshilfe gebeten haben. Insofern ist nach allen bisherigen
Erkenntnissen der aktuelle Ausbruch an der Charité auch nicht mit den
Vorfällen und nachweislichen Schlampereien in dem Bremer Klinikum im
Frühjahr 2011 vergleichbar.
Keime jedweder Art in Krankenhäusern sind eine latente Gefahr, weil
sie dort Menschen heimsuchen, deren Immunsystem geschwächt ist. Das
gilt natürlich insbesondere für Intensiv- und Frühgeburtsstationen.
Sie allerdings, wie alle übrigen Stationen, völlig keimfrei zu halten
ist höchst aufwendig; und gilt dennoch als illusorisch. Was bei uns
ziemlich undenkbar ist, wird in Amerika zumindest partiell gemacht.
Um resistente Keime, die sich über Jahre in Krankenstationen
"verbarrikadiert" haben, auszulöschen, werden prophylaktisch in
bestimmten zeitlichen Abständen ganze Hospitäler entkernt und neu
aufgebaut. Das passiert in Deutschland allenfalls mit verseuchten
Stationen wie derzeit noch in Bremen und sehr bald im
Virchow-Klinikum.
An der Hygiene zu sparen wird unweigerlich früher oder etwas später
sehr teuer. Natürlich für die Gesundheit des Patienten, aber auch für
Ruf und Renommee eines Krankenhauses. Deshalb wird der Ruf nach
Hygiene-Fachärzten an jedem Hospital zu Recht immer lauter. Zu
vielfältig sind die Quellen der Verunreinigung, als dass sich
Stationsärzte auch darum noch intensiv kümmern könnten. Wer
kontrolliert denn wirklich das Reinigungspersonal, wer die Besucher
von außen, wer schlägt Alarm, wenn die Personaldecke zu dünn ist und
deshalb das Händewaschen vor jeder neuen Patientenberührung nur drei
Sekunden statt der notwendigen halben Minute dauert? Oder wer sorgt
für die regelmäßige Desinfektion der gesamten Infrastruktur von der
Wasserleitung bis zum Seifenspender?
Bei allen Mängeln, aller Sorge und aktueller Trauer gilt es aber auch
daran zu erinnern: Ärztlicher Kunst gelingt es heute, viele
Patienten, auch Frühchen mit minimalem Gewicht, zu retten, die früher
keine Überlebenschance gehabt hätten.
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