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Die Presse - Leitartikel: "Die SPÖ zwischen Paris und Innsbruck", von Oliver Pink

Ausgabe vom 17.04.2012

Wien (OTS) - Vom Klassenkampf noch nicht ganz los-, in der
Wettbewerbsgesellschaft noch nicht ganz angekommen: die
österreichische Sozialdemokratie des Jahres 2012.

Unter der Regierung Lionel Jospin wurde 1998 in Frankreich von der
damaligen Arbeitsministerin Martine Aubry, der heutigen Parteichefin
der Sozialistischen Partei Frankreichs, die 35-Stunden-Woche
eingeführt. Maßgeblichen Experten zufolge ist dies einer der
wesentlichen Gründe dafür, dass Frankreich heute in seiner
Wettbewerbsfähigkeit vielen anderen europäischen Ländern
hinterherhinkt - vor allem Deutschland, das nach der
Wiedervereinigung und vor dem Wirksamwerden der Arbeitsmarktreformen
Gerhard Schröders noch als "der kranke Mann" Europas gegolten hat.
Unter Linken und Linksliberalen gab es damals, Ende der Neunziger-,
Anfang der Nullerjahre, eine heftige Debatte darüber, ob man nun dem
Weg Gerhard Schröders (oder Tony Blairs) zuneigen sollte. Oder doch
lieber jenem von Jospin. Die Pragmatiker entschieden sich für
ersteren, die Traditionalisten für zweiteren. Wie es aussieht,
tendiert die Führung der österreichischen Sozialdemokratie des Jahres
2012 - obwohl Schröder nachträglich recht behielt - eher zum
französischen Modell.
Wobei "Führung" relativ ist. Das Projekt findet unter Federführung
von Bundesgeschäftsführerin Laura Rudas und dem Leiter der
SPÖ-Parteiakademie, Karl Duffek, statt. Was Parteivorsitzender Werner
Faymann davon hält, weiß man noch nicht. Man wird aber davon ausgehen
müssen, dass es viele Genossen derart zukunftsweisend finden werden -
vor allem jene, die daran mitgearbeitet haben -, dass sich Faymann
möglicherweise schwertun wird, sich davon zu distanzieren.
Die Rede ist von "Österreich 2020", einer Art "Perspektivengruppe"
der SPÖ - wobei man diesen Begriff, der Assoziationen zum
Koalitionspartner weckt, in der Löwelstraße gar nicht gern hört -,
bei der noch nicht ganz klar ist, ob das Erdachte dann auch in ein
neues Parteiprogramm einfließt oder nur das Wahlprogramm für die
Nationalratswahl 2013 darstellt. Wie auch immer: Einer der Punkte
zielt auf eine Reduzierung der Arbeitszeit ab. Noch ist nicht
bekannt, auf welche Stundenanzahl die derzeitige Wochenarbeitszeit
von 40/38,5 Stunden verkürzt werden soll, es würde aber nicht
verwundern, würde am Ende der Slogan "35 Stunden sind genug" stehen.
Festhalten dürfte die SPÖ im (derzeit noch nicht) endredigierten
Papier von "Österreich 2020" zudem an ihren Forderungen nach mehr
vermögensbezogenen Steuern. Wesentlich interessanter klingt jedoch
der Vorschlag, die Einkommensteuer und die
Sozialversicherungsbeiträge zu einer einheitlichen Abgabe
zusammenzuführen.
Eines schimmert jedenfalls jetzt schon durch: Ganz hat sich die SPÖ
vom Klassenkampf noch nicht verabschiedet und ganz ist sie in der
Wettbewerbsgesellschaft noch nicht angekommen. Den erwirtschafteten
Wohlstand besser zu verteilen - mit diesem Ziel war die
Sozialdemokratie einst angetreten. Doch dieser muss bekanntlich erst
erarbeitet werden. Wobei das Land und seine Unternehmen mehr denn je
im internationalen Wettbewerb stehen. Der Sozialdemokrat Gerhard
Schröder hat das einst verstanden. Und die Genossen vom Deutschen
Gewerkschaftsbund konnten das - murrend, aber immerhin - auch
irgendwie nachvollziehen. Wobei man sagen muss: Auch der
Österreichische Gewerkschaftsbund hat sich 2009 leise, aber doch, von
der Forderung nach einer 35-Stunden-Woche verabschiedet.

Im Wettbewerb der Parteien hatte die SPÖ vergangenen Sonntag das
Nachsehen: Bei allen lokalen Eigenheiten - zu denken geben muss der
SPÖ das Ergebnis der Innsbrucker Gemeinderatswahl sehr wohl. Die
Kanzlerpartei nur an vierter Stelle - hinter den Grünen. Und vorneweg
gleich zwei ÖVP-Listen. Das ist jene Partei, der gern vorgehalten
wird, in den urbanen Zentren nicht reüssieren zu können.
Doch gerade in den bürgerlichen und von ihrer sozialen Struktur her
immer bürgerlicher werdenden Städten in den Bundesländern hat die SPÖ
ein Problem. Da stimmen die Wähler lieber für bürgerliche(re) Listen,
Grüne oder Piraten. Mit einer SPÖ, die etwas aus der Zeit gefallen zu
sein scheint, fangen sie anscheinend wenig an. Klassenkampfparolen
werden daran nichts ändern - ganz im Gegenteil.

Rückfragehinweis:
Die Presse
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Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
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