Ratingagenturen: Verursacher, Verstärker oder im Sog der Staatsschuldenkrise?
Wien (OTS/WIFO) - Die Marktstimmung beeinflusst internationale Kapitalströme rasch und nachhaltig. Die Veränderung der Risikobereitschaft internationaler Anleger erklärt mehr als die Hälfte der Schwankungen des Zinsdifferentials zwischen inländischen Staatsanleihen und den Anleihen aus einem sicheren Vergleichsland. Herabstufungen des Länderratings können in diesem Umfeld destabilisierend wirken. Die Auswertung der Ratingänderungen für vier europäische Peripherieländer zwischen 1994 und 2011 liefert jedoch keinen Nachweis für einen Teufelskreis aus Zinsanstieg, Herabstufung und Zunahme der Staatsschuld. *****
Ratingagenturen verarbeiten Informationen über die politische, wirtschaftliche und finanzielle Lage eines Staates in ein einfaches Signal für Anleger. Sie erleichtern damit vor allem grenzüberschreitende Investitionen. Ratings konnten in einigen empirischen Untersuchungen als Ursache für die Ausweitung des Zinsabstandes zu einem Vergleichsland mit sicherer Veranlagungsmöglichkeit identifiziert werden. Andererseits zeigen etliche empirische Untersuchungen einen nichtlinearen Zusammenhang zwischen Fundamentaldaten über die fiskalpolitische Lage eines Landes und dem Zinsabstand zu einem Vergleichsland mit sicheren Veranlagungsmöglichkeiten.
Die Möglichkeit der Auslösung eines selbstverstärkenden Prozesses aus Zinssatzsteigerungen und Herabstufungen erfordert während der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum erhöhte Aufmerksamkeit, vor allem weil in der Vergangenheit immer wieder Ratingfehler auftraten. Der Anstieg der Zinssätze für Staatsanleihen ist einerseits ein Marktsignal für schwindendes Vertrauen in die Rückzahlungsfähigkeit eines Staates, andererseits erschwert er die Budgetsanierung durch die damit verbundene Zunahme des Zinsaufwandes.
Die Auswertung von Ratingänderungen für vier Länder an der Peripherie des Euro-Raumes (Griechenland, Irland, Spanien, Portugal) bestätigt andere empirische Untersuchungen. Ratingänderungen reagieren demnach signifikant und überproportional auf eine Erhöhung des Zinsabstandes zwischen diesen Ländern und Deutschland; Herabstufungen erfolgten in der Staatsschuldenkrise seit 2010 signifikant häufiger und fielen deutlich geringer aus als in ruhigen Perioden. Weiters besteht unter den Ratingagenturen ein Herdentrieb: Agenturen passen ihr eigenes Rating tendenziell in Richtung der anderen Agenturen an. Eine Ausweitung des Zinsabstandes zu Deutschland um 1 Prozentpunkt hat im Durchschnitt eine Herabstufung des Ratings um 1,3 Punkte zur Folge. Abbildung 1 zeigt deutlich den negativen Zusammenhang. Umgekehrt verursachen Ratinganpassungen in den Folgeperioden eine Ausweitung des Zinsabstandes zu Deutschland, wobei eine Herabstufung um 1 Punkt das Zinsdifferential um 0,2 Prozentpunkte vergrößert. Abbildung 2 zeigt den negativen, aber deutlich schwächeren Zusammenhang der Rückkoppelung.
Ratingänderungen erfolgen, wie die Untersuchung zeigt, in der Regel nach einer Veränderung des Zinsabstandes und überproportional. Die Rückkoppelung des Zinsabstandes mit den Ratings ist aber zu klein für einen selbstverstärkenden Prozess. Die Einschätzung durch die Ratingagenturen hat somit in der aktuellen Staatsschuldenkrise keine destabilisierende Wirkung, im Gegenteil: die zeitliche Abfolge von Zinssatz- und Ratingänderungen legt die Schlussfolgerung nahe, die Ratingagenturen würden eher im Sog der Staatsschuldenkrise agieren.
Abbildung 1: Reaktion der Ratings für die vier Euro-Raum-Peripherieländer auf eine Zunahme des Zinsabstandes zu deutschen Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren
Abbildung 2: Reaktion des Zinsabstandes zu deutschen Bundesanleihen mit einer Restlaufzeit von 10 Jahren nach einer Ratingänderung für eines der vier Euro-Raum-Peripherieländer
http://www.wifo.ac.at/wwa/pubid/43293
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