- 24.10.2011, 18:15:44
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DER STANDARD-KOMMENTAR "Nonsens-Meldung" von Gudrun Harrer
Ausgabe vom 25.10.2011
Wien (OTS) - Die Schreckensrufe darüber, dass der Chef des
libyschen Übergangsrats, Mustafa Abdul Jalil, "die Scharia ausgerufen
hat", entbehren nicht eines komischen Elements. Hat jemand erwartet,
dass diese libyschen Exrebellen, unter denen die Islamisten so stark
sind, die Abwendung Libyens vom Islam verkünden würden? Aber Spaß
beiseite, vor allem ist die Meldung, so wie sie gebracht und
verstanden wird, Nonsens.
Abdul Jalil hat gesagt, dass die Scharia die Grundlage des libyschen
Rechtssystems sein wird - und genau das steht seit dreißig Jahren
unter anderem etwa in der ägyptischen Verfassung, ohne dass jemand
Angst gehabt hat.
Keine Frage: Vom Standpunkt der Trennung von Religion und Staat oder,
ganz praktisch, aus der Sicht von nicht-islamischen Minderheiten in
einem Land, wäre es einem lieber, dass das islamische Recht nur
"eine" Rechtsquelle wäre - oder eben, ginge es nach unserem
europäischen Säkularismus, gar keine. Und dass der Traum des Westens
platzt, die arabischen Revolutionen würden die Islamisten ins Abseits
verweisen, ist auch traurig - wenn es auch erwartbar war. Aber
prinzipiell sagt so ein Scharia-Passus nicht viel über die
Rechtspraxis aus. Die Scharia ist kein kodifiziertes Recht. Es kommt
auf die Interpretation an. Mit einer islamischen Argumentation - der
Unmöglichkeit, mehrere Ehefrauen absolut gerecht zu behandeln, wie
vom Islam verlangt - hat etwa Tunesien die Polygynie verboten.
Übrigens ist das einzige arabische Land, das den Islam nicht als
Staatsreligion hat, Syrien. In Libyen hingegen gab es auch schon
unter Gaddafi ein islamisches Rechtssystem. Es wäre schon ein
Fortschritt, wenn Libyen innerhalb dieses Systems ein Land mit "rule
of law" wird. In diesem Sinn verdient, was dieser Tage mit Gaddafis
Leiche aufgeführt wird - und, schlimmer, mit seinen noch lebenden
Gefolgsleuten - mehr Aufmerksamkeit als Abdul Jalils Sager.
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Der Standard
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