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DER STANDARD - Kommentar "Die Perspektiven der Palästinenser" von Gudrun Harrer

Abbas gewinnt - und riskiert - viel, wenn er auf den Gang in die Uno verzichtet // Ausgabe vom 22.09.2011

Wien (OTS) - Einen Erfolg kann dem Präsidenten der
Palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmud Abbas, niemand mehr
wegnehmen: Die Frage der palästinensischen staatlichen Souveränität
steht, nachdem jahrelang so getan worden war, als sei dafür ewig
Zeit, ganz oben auf der internationalen Agenda. Auch viele jener
Akteure, die sich aus unterschiedlichen Gründen gegen Abbas' Marsch
durch die Uno-Institutionen aussprechen, betonen, dass man den
Palästinensern Perspektiven geben muss: und zwar nicht für dieses und
jenes, sondern für ihre Eigenstaatlichkeit.
So gesehen, könnte man argumentieren, hat Abbas nur zu gewinnen, wenn
er fünf vor zwölf seine Absicht zurückzieht, im Uno-Sicherheitsrat
den Antrag auf die Vollmitgliedschaft des Staates Palästina stellen
zu lassen: Wenn er die USA - nach ihrem eigenen Verständnis - dazu
"zwingt", ein Veto einzulegen, so ist das eine Kampfansage. Wenn es
den USA tatsächlich gelingt, im Uno-Sicherheitsrat die nötigen
Stimmen gegen den Antrag der Palästinenser zustande zu bringen, und
sie ihr Veto gar nicht einsetzen müssen, dann ist der diplomatische
Schaden für die Palästinenser groß: Nicht mehr die USA, sondern die
"internationale Gemeinschaft" hätte dann die Anerkennung Palästinas
verhindert. Und in beiden Fällen riskieren die Palästinenser
US-Sanktionen.
Fast alle sind sich einig darüber, dass man den Palästinensern für
einen etwaigen Verzicht "etwas geben" müsste. Die EU bemüht sich seit
Monaten um eine Erklärung des Nahostquartetts (EU, USA, Uno,
Russland), in der inhaltliche und zeitliche Parameter für
israelisch-palästinensische Verhandlungen festgelegt würden. Dieser
neuen Chance auf eine ausgehandelte Einigung zuliebe, so der
EU-Wunsch, sollten die Palästinenser den Showdown im Sicherheitsrat
zumindest einmal aufschieben.
Zwei Kräfte im Nahostquartett zerren in völlig unterschiedliche
Richtungen: die USA, die seit Monaten verhindern, dass Israel in der
Erklärung auf etwas festgenagelt wird, was es nicht will - und nicht
akzeptieren würde -, und Russland, das eine Erklärung überhaupt für
redundant hält. Mit der diplomatischen Glaubwürdigkeit der EU steht
es nicht zum Besten, denn sie scheint vor allem deshalb dafür zu
kämpfen, Abbas aufzuhalten, um nicht selbst Position beziehen zu
müssen - denn sie hat keine (einheitliche). Als Garant für die
Umsetzung eines Nahostquartett-Papiers nimmt die EU auch niemand
wirklich ernst - aber dieses Schicksal teilt mittlerweile auch
US-Präsident Barack Obama mit ihr.
Das heißt: Es wird ein Nahostfriedensprozess vorbereitet, an den
niemand recht glaubt, um das, was diesen Freitag in der Uno passieren
könnte, hinauszuschieben. Wenn sich Abbas darauf einlässt, ist ihm
internationale Dankbarkeit erst einmal sicher. Im Westjordanland wird
es Frustration und Enttäuschung geben, aber mit Engelszungen redend
wird Abbas die Palästinenser davon überzeugen, dass sich ein Aufschub
lohnt.
Wenn das dann jedoch nicht der Fall ist, wenn sich herausstellt, dass
die Palästinenser in eine Falle gegangen sind - wenn in neuen
Verhandlungen, wie das letzte Mal, wieder darüber gesprochen wird,
worüber überhaupt gesprochen werden darf -, dann wird der Preis umso
höher sein. Das sollten alle Beteiligten wissen. Es kann nicht nur
darum gehen, Abbas zu stoppen. Es geht um einen neuen ernsthaften
Versuch einer Zweistaatenlösung.

Rückfragehinweis:
Der Standard, Tel.: (01) 531 70/445

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