- 18.08.2011, 18:21:42
- /
- OTS0169 OTW0169
"Die Presse"-Leitartikel: Die katholische Kirche ist nicht (mehr) von dieser Welt, von Dietmar Neuwirth
Ausgabe vom 19. August
Wien (OTS) - Gewalttätige Proteste gegen den Papst in Madrid,
Großdemo demnächst in Berlin, Aufruf zum Ungehorsam in Wien: Rom hat
sich den Widerstand hart erarbeitet.
Kann Kardinal Christoph Schönborn dieser Tage tatsächlich glücklich
sein? In Zeiten, in denen sein großer Widerpart im - auch sonst nicht
immer einfachen - Klerus der Erzdiözese, Helmut Schüller, von Medium
zu Medium gereicht wird. In denen sein früherer Manager der
Tagesarbeit wegen eines "Aufrufs zum Ungehorsam" fast schon als eine
Art Messias gefeiert wird. Während auch andere reformbewegte Kräfte
innerhalb (wie lange noch?) der katholischen Kirche Österreichs mit
Eskalation drohen, falls Schönborn doch, wie das nicht wenige in Rom
von ihrem Wiener Filialleiter erwarten, disziplinäre Schritte gegen
Schüller setzt. Nochmals: Kann Kardinal Schönborn dieser Tage
tatsächlich glücklich sein?
Doch, er kann. Zugegeben: nicht in Wien, sondern im fernen Madrid.
Dort durfte er wenige Stunden vor der gestrigen Ankunft des Papstes
mit Jugendlichen in einer knallvollen Kirche beim Weltjugendtag
richtig feiern. Fromm, enthusiastisch, engagiert, idealistisch: So
mag Schönborn die Jugend, von der er daheim, im nur noch rudimentär
katholischen Wien, immer weniger zu Gesicht bekommt. Hier in Madrid
ist sie. Der Papst ruft - und eine Million Jugendliche aus aller Welt
kommen. Alles paletti für den Papa? Fast.
Immer häufiger werden Besuche des Papstes von immer lauteren
Protesten gegen ihn begleitet. Jetzt in Madrid sah sich die Polizei
sogar gezwungen, mit Gummiknüppeln gegen Demonstranten vorzugehen.
Zwischen 2000 (laut von Österreichs Bischöfen finanzierter
Katholischer Presseagentur), 5000 und mehreren Tausend (ORF) hatten
gegen das Kommen des Oberhaupts der Katholiken protestiert. 5000
gegen eine Million. Das ist nicht viel. Papst und Kirche werden
Derartiges locker wegstecken. Aber es ist unbestreitbar, dass Kritik
gegen Amtsträger der katholischen Kirche, gegen die Institution an
sich und gegen Glaubende generell immer unentspannter artikuliert
wird. Spannende Zeiten allemal.
Rom und die Bischöfe haben sich die rauer werdende Gangart, die gegen
sie eingeschlagen wird, hart erarbeitet. Das - Ausnahmen bestätigen
die Regel - über Jahrzehnte hinweg völlig unakzeptable Vorgehen beim
Auftauchen von Fällen sexuellen Missbrauchs durch Priester hat der
Glaubwürdigkeit der Institution nachhaltigen immateriellen Schaden
zugefügt. Dass daraus auch immenser materieller Schaden vor allem in
den USA erwachsen ist, sei nur am Rande erwähnt.
Dazu kommt, dass besonders in Europa der Reformdruck von nicht
wenigen - auch, ja vielleicht gerade in der Priesterschaft - als kaum
noch erträglich empfunden wird. Die Kirchenleitung reagiert in
unbewährter Manier mit Abwehr oder Versuchen, Debatten erst gar nicht
hochkommen zu lassen. Und unterminiert damit selbst ihre eigene
Autorität. Letzter Hinweis darauf, wie gefährlich fortgeschritten das
Zerbröseln dieser Autorität bereits ist, war eben der Aufruf der
Pfarrerinitiative zum Ungehorsam. Natürlich muss gefragt werden, ob
sich die Provokation des Titels über einen sonst fast ausschließlich
harmlosen altbekannten Wunschkatalog der Sache als besonders dienlich
erweisen wird. Denn statt eine Debatte beispielsweise über den Umgang
mit Geschiedenen, die wieder geheiratet haben, oder über die Zukunft
schrumpfender Gemeinden bei schrumpfenden Priesterzahlen zu führen,
verzetteln sich die Beteiligten auf beiden Seiten nun in
Betrachtungen über Sinn, Unsinn und Grenzen priesterlichen Gehorsams.
Sicher alles wahnsinnig wichtig und kirchenrechtlich bedeutsam. Nur
geht es an der Lebensrealität der Mehrheit der Katholiken eher
vorbei.
Die erleben ein Weghören und Ignorieren von Forderungen, die seit
Jahrzehnten auf der Agenda stehen - nicht um Reformen bloß der
Reformen wegen durchzuführen, sondern um der Institution den
Anschluss an die Gegenwart zu geben. Wie das auch in den vergangenen
2000 Jahren fortwährend geschehen ist. Heute aber präsentiert sich
die katholische Kirche oft als nicht (mehr) von dieser Welt. Über
eine Gemeinschaft, zu deren Credo das Kommen von Gottes Sohn in die
Welt gehört, kann wohl kaum ein vernichtenderes Urteil gefällt
werden.
Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
www.diepresse.com
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | PPR






