"DER STANDARD"-Kommentar: "So frech wie der Bundespräsident" von Gerald John
Marketinggags à la Sebastian Kurz werden der Koalition keine Jungwähler bringen - Ausgabe vom 21.4.2011
Wien (OTS) - Sebastian Kurz ist jung. Und er lebt in Wien, wo es viele Ausländer gibt. Diese Qualifikation ist für Parteichef Michael Spindelegger überzeugend genug, um den 24-Jährigen zum Staatssekretär für Integration zu machen. Eine seltsame Interpretation des Leistungsgedankens, dem die ÖVP sonst so gerne huldigt. Nach derselben Logik könnte jeder Teamchef werden, der schon einmal ein Ländermatch gesehen hat.
Vermutlich geht es aber ohnehin nur vordergründig um das Ausländerthema. Spindelegger hat ein für die ÖVP existenzielles Problem erkannt: Die jungen Wähler laufen den Großparteien davon. Also zaubern Rot und Schwarz Hoffnungsträger hervor, die Kurz bis in die Spitzen des gegelten Haarschopfes wie Zwillinge gleichen:
stylish, machtbewusst, selbstsicher, eloquent, glatt - und ungefähr so erfrischend frech wie eine Ansprache des Bundespräsidenten.
Zu Recht empfindet die junge Garde den Vorwurf der Angepasstheit als unfair. In keinem Parteistatut steht etwas vom Zwang zur Rebellion geschrieben. Es ist nicht ehrenrührig, sich ins Korsett eines Apparates zu zwängen, um Karriere zu machen. Doch den erhofften Jungbrunnen wird der Typus des weichgespülten Aufsteigers nicht zum Sprudeln bringen.
Das Konzept Kurz fußt auf einem Trugschluss: Junge Wähler identifizieren sich nicht mit Rolemodels, die es kaum erwarten können, in der Liga der Großen mitzuspielen - sie wollen Politiker, die aus diesem fremden Universum herabsteigen und sich für ihre Lebenswelten interessieren. Doch die großen Traditionsparteien lassen den Kontakt abreißen. Seit Urzeiten rekrutieren SPÖ und ÖVP ihr Personal über die ewig gleichen Kaderschmieden - und verlieren Zugang zu breiten Teilen einer immer vielfältigeren Gesellschaft. Verschreckt hat die Regierung reagiert, als der große Aufstand an den Universitäten ausgebrochen war: Die angeblich so volksnahen Koalitionspolitiker trauten sich nicht einmal, einen Fuß in die besetzten Hörsäle zu setzen.
Ihr härtester Konkurrent hat da weniger Berührungsängste. Heinz-Christian Strache demonstriert Interesse an seinen Wählern dort, wo sich diese herumtreiben - zum Beispiel in der Disco. Und er wirkt dabei um Welten authentischer als ein yuppiehafter Jusstudent, der mit einem "Geilomobil" durch die Stadt kurvt.
SPÖ und ÖVP müssen ihren Funktionären deshalb keine Tanzkurse verordnen. Es gilt, Figuren aufzubauen, die Milieus abseits der Parteiklüngel repräsentieren - und dann auch den Freiraum bekommen, einmal die Gosch'n aufzureißen, ohne vorher das Drehbuch gelesen zu haben. Wer Nachwuchskräfte wie Laura Rudas justament in die Parteizentrale setzt, wo zwangsläufig nach der Pfeife des obersten Bosses getanzt werden muss, darf sich nicht wundern, wenn diese dann wie Apparatschiks klingen.
Ein flotteres Image allein - da haben es SPÖ und ÖVP schwerer als die Dampfplauderer von der FPÖ - ist aber nur ein Baustein. Die Unzufriedenheit der Jungen mit den Mächtigen nährt sich aus realen Ängsten, die sich durch alle Schichten ziehen: "Oben" fühlen sich Studenten an den ausgehungerten Unis ihrer Bildungschancen beraubt, "unten" produziert die über Jahre stark gestiegene Jugendarbeitslosigkeit Modernisierungsverlierer en masse. Die beste Strategie, um bei Jungwählern zu punkten, führt über die Lösung dieser Probleme. Marketing kann Politik nicht ersetzen.
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