- 17.03.2011, 18:48:10
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"Die Presse" Leitartikel: Dem arabischen Frühling droht ein rasches Ende, von Wieland Schneider
Ausgabe vom 18.03.2011
Wien (OTS) - Während alles gebannt nach Japan blickt, gehen die
Regimes in Libyen und Bahrain daran, den Aufständen ein gewaltsames
Ende zu bereiten.
Tausende sind gestorben. Zigtausende sind auf der Flucht und haben
alles verloren: ihr Dach über dem Kopf, ihr gesamtes Eigentum, viele
ihrer Angehörigen. Diesmal hat es nicht Menschen in Haiti, im Kongo
oder in Somalia erwischt. Diesmal ist das Unheil über eine der
mächtigsten Industrienationen der Welt hereingebrochen - über Japan.
Das schafft auch in Österreich große persönliche Betroffenheit, eine
besondere Identifikation mit den Opfern, die gestern noch ein
schmuckes Haus, ein Auto und einen Job besessen haben, heute aber vor
dem Nichts stehen.
Gerade eine Katastrophe in einem Industriestaat wie Japan führt
brutal vor Augen, wie verwundbar die eigene Gesellschaft ist. Dazu
kommt das Reizthema Atomkraft. Der Störfall im AKW Fukushima wirft
erneut Fragen nach der Beherrschbarkeit dieser Technologie auf. Der
Kampf gegen die brennenden Reaktoren hält die Weltöffentlichkeit im
Bann: wegen der zu befürchtenden schweren Folgen, die eine Niederlage
der Hilfskräfte nach sich ziehen würde. Aber auch wegen der - fast
schon metaphorischen - Frage, ob es Japans Wissenschaftler schaffen,
mit ihrer Technologie ihre eigene außer Kontrolle geratene
Technologie zu bezwingen.
Es gibt also viele gute Gründe dafür, warum Japan derzeit die volle
Aufmerksamkeit der internationalen Medien genießt. Doch abseits von
Japan geschieht auch noch anderes - etwas, das gerade für Europa in
den kommenden Jahren Auswirkungen haben wird: Der arabische Frühling,
der so hoffnungsvoll begonnen hat, könnte schon bald wieder zu Ende
sein. In Libyen und Bahrain gehen die Machthaber daran, den
Aufständen mit Gewalt ein Ende zu setzen - im Schatten der
Katastrophe in Japan, die zuletzt die Titelseiten der Zeitungen und
die Nachrichtensendungen internationaler TV-Stationen gefüllt hat.
Bahrains Herrscherhaus hat saudische Soldaten zu Hilfe geholt, um die
Protestbewegung niederzuschlagen. Saudiarabien und Bahrain sind
wichtige Verbündete der USA, in Bahrain liegt das Hauptquartier der
5. US-Flotte. Hätten es Bahrains Sicherheitskräfte und die saudischen
Soldaten gewagt, so brutal wie jetzt gegen die Demonstranten
vorzugehen, wenn die internationalen Medien ihre ganze Aufmerksamkeit
Bahrain hätten widmen können? Die Sprecher des Weißen Hauses, ja
Präsident Obama selbst, hätten sich bei den Presse-Briefings wohl
viel mehr kritische Fragen gefallen lassen müssen, wenn Bahrain mehr
Raum in den Berichten der US-Sender eingenommen hätte. Das hätte die
USA in Zugzwang gebracht, ihre Verbündeten noch mehr zur Mäßigung zu
drängen.
Dass Druck aus Washington Libyens Diktator Gaddafi weit weniger
kümmert als die Herrscherhäuser in Bahrain und Saudiarabien - oder
zuletzt Ägyptens Regime - liegt auf der Hand. Gaddafi wollte von
Anfang an mit den Aufständischen militärisch abrechnen. Die
Katastrophe in Japan kam ihm dabei gerade recht. Während alles nach
Ostasien blickte, eroberten seine Truppen Stadt um Stadt zurück und
marschierten bis vor die Tore der Rebellenhochburg Bengasi. Die Frage
einer Flugverbotszone, ja einer "humanitären Intervention" zugunsten
der Rebellen, war in den vergangenen Tagen nach wie vor präsent,
stand aber nicht an oberster Stelle der Aufmerksamkeitsskala.
Dass massive Berichterstattung einen medialen Druck für ein
militärisches Eingreifen erzeugen kann, zeigen die Beispiele Bosnien
und Kosovo. Ob das die USA und die Europäer auch im Fall Libyen zu
rascherem Handeln gezwungen hätte, darüber kann nur spekuliert
werden. Man wartete auf eine Entscheidung der Arabischen Liga. Und
man wollte nichts ohne Sanktus des UN-Sicherheitsrates tun.
Jetzt ist das Thema Libyen endlich wieder auf die Agenda gerückt -
nur viel zu spät: Ein Sturz Gaddafis scheint mittlerweile
illusorisch. Nun kämpfen die Rebellen ums Überleben - und ohne
massive Intervention von außen schwinden ihre Überlebenschancen
stetig. In Ägypten treffen bereits Flüchtlinge ein - Menschen, die
die einst "befreiten Gebiete" aus Angst vor der Rache Gaddafis
verlassen. Die vergeblich darauf gehofft haben, der internationalen
Euphorie über ihren Aufstand würde auch rasche Hilfe folgen.
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