• 17.02.2011, 18:22:03
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"Die Presse" Leitartikel: Eine Dissertation ist kein Aufsatz, sondern eine Arbeit, von Thomas Kramar

Ausgabe vom 18.02.2011

Wien (OTS) - Was man aus dem Fall des deutschen Ministers zu
Guttenberg lernen kann: Eine Doktorarbeit muss der wissenschaftlichen
Forschung dienen.

Nein, das tut man nicht. Es gehört sich nicht, was der deutsche
Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg ganz offensichtlich
in seiner Doktorarbeit getan hat. Man zitiert nicht ohne
Anführungszeichen, man kopiert keine fremden Texte in seine eigenen.
Wer das tut, schreibt sich Formulierungen zu, die ein anderer
gedrechselt hat. Das ist eine Anmaßung, die eines Akademikers nicht
würdig ist. Und ja, es ist sogar ein Betrug.

Aber ist es ein Betrug, der zur Erlangung der Doktorwürde notwendig
war? Hat sich zu Guttenberg durch seine freche "Copy and
paste"-Praxis seinen akademischen Titel erschlichen?

Die Antwort hängt stark davon ab, was man von einer Dissertation
erwartet. Wenn man sie als eine erweiterte Form der Erörterung oder
des Besinnungsaufsatzes à la Gymnasium sieht, dann ist das Übernehmen
fremder Formulierungen gewiss ein bedenklicher Betrug, ähnlich dem
"Abschreiben" bei einer Schularbeit. Denn in einem solchen Aufsatz
kommt es vor allem auf den "Ausdruck", auf die originellen
Formulierungen an. (Und womöglich auch auf Rechtschreibung und
Beistrichsetzung.)

Eine Dissertation sollte aber etwas ganz anderes sein: nämlich eine
wissenschaftliche Arbeit. Und das ist, salopp gesagt, ein Bericht
über geleistete wissenschaftliche Forschung. Über Forschung, die neue
Fragen gestellt und neue Antworten erbracht hat. Nicht nur neue
Formulierungen.

Eine solche Dissertation ist auch etwas wert. Sie verstaubt nicht
nach der Promotion in einem Archiv, sie wird von Kollegen in In- und
Ausland gelesen, aus ihr wachsen Publikationen in wissenschaftlichen
Zeitschriften, vielleicht sogar ein Buch. Sie ist, pathetisch gesagt,
ein Stein im Bauwerk einer wissenschaftlichen Disziplin. Auf ihr
bauen andere Dissertanten, andere Forscher auf. Sie liegt nicht
brach.

Das geht aber nur, wenn der Dissertant - bei aller Eigenständigkeit
und Originalität - seine Arbeit in einen größeren Zusammenhang
stellt, mit Kollegen zusammenarbeitet und diskutiert, nicht erst nach
zwei einsamen Jahren am Schreibtisch bei seinem Doktorvater
vorspricht. In den Naturwissenschaften, ob in Deutschland oder
Österreich, ist diese Einbindung in ein Team ganz normal. Das
bedeutet aber auch den Verzicht auf einen Anspruch, der in den
Kultur-, Geistes- und Sozialwissenschaften noch weit verbreitet ist:
den der völlig freien Themenwahl.

Ein hehrer Anspruch, vielleicht. Aber kein sinnvoller. Denn der oft -
und zu Recht - beklagte Mangel an Betreuung liegt ja genau daran,
dass viele Dissertationen (und auch Diplomarbeiten) dem "Betreuer"
herzlich egal sind, weil sie nichts mit seiner Forschung zu tun
haben, weil dieser auch nicht vorhat, das Thema der Arbeit jemals
weiterzuverfolgen. Weil er sich bei der Lektüre nicht wie ein
Forscher fühlt, der neugierig liest, was ein jüngerer Kollege
erarbeitet hat, sondern wie ein Lehrer, der den Aufsatz eines
Schülers zu benoten hat. Die fatale Spaltung in Lehre und Forschung
auf den Universitäten, hier gipfelt sie.

Karl-Theodor zu Guttenberg, dieser zielstrebige, stets auf seine
Karriere bedachte Mann, habe eben nicht viel Zeit erübrigt für die
lästige Pflicht seiner Dissertation: Diese Sicht liest man aus
etlichen Analysen - die dem Minister, freilich ohne das klar zu
sagen, im Grunde recht geben. Zeitmanagement nennt man das heute
gern. Und pragmatisch gesehen hat zu Guttenberg auch richtig
gehandelt: Wozu soll man sich eigene Gedanken machen, wozu soll man
gar eigene Sätze formulieren, wenn das Werk in ein paar Wochen
ohnehin niemanden mehr interessiert?

Diese Geringschätzung darf nicht einreißen. Eine Dissertation hat
nicht die Erledigung einer lästigen Pflicht zu sein. Darum muss man
Kontrolloren wie Stefan Weber, so unangenehm pedantisch und
denunziatorisch sie wirken mögen, danken. Sie arbeiten dafür, dass
Dissertationen etwas wert sind, dass die Lebenszeit, die man für sie
braucht, nicht vergeudet ist. Und damit auch dagegen, dass die Unis
fade Lehranstalten werden, an denen nebenbei halt ein bisschen
geforscht wird. Das ist viel wichtiger als fehlende
Anführungszeichen. Aber diese eignen sich offenbar ganz gut als
Indikator.

Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
www.diepresse.com

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