• 25.01.2011, 18:19:13
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"Die Presse" Leitartikel: Norbert Darabos versteht nichts davon, von Michael Fleischhacker

Ausgabe vom 26.01.2011

Wien (OTS) - Das Problem ist nicht, dass Norbert Darabos den
Generalstabschef abberufen hat. Das Problem ist, dass es niemanden
gibt, der Darabos abberuft.

Norbert Darabos hat vollkommen recht: Gott sei Dank leben wir in
einem Land, in dem das Militär seine Befehle von der zivilen
Regierung erhält und nicht umgekehrt. Wenn also ein Generalstabschef
öffentlich erklärt, dass er das, was der Verteidigungsminister an
strukturellen Neuerungen vorhat, für falsch hält, ist die Abberufung
des Generalstabschefs durch den Verteidigungsminister nicht nur
legitim, sondern sogar selbstverständlich.

Und es ist, in der wirklichen Welt, ein für beide Seiten durchaus
ehrenvoller Vorgang: Der Verteidigungsminister zeigt, dass er bereit
ist, die zivilen Vorgaben für das Militär konsequent umzusetzen, der
Generalstabschef zeigt, dass er sich lieber abberufen lässt, als dass
er Vorgaben umsetzt, die er für falsch hält. So gehört sich das in
einer reifen Demokratie. Das Gezeter der verfreundeten
Regierungspartei und der Opposition, wonach Darabos "stalinistisch"
agiere und "Kritiker mundtot gemacht" würden, ist eher peinlich.
Vielleicht möchte sich die ÖVP kurz daran erinnern, mit welchen
Argumenten sie leitende Mitarbeiter des Innenministeriums entfernt
hat, nachdem sich diese gegen Ernst Strassers Reform der Exekutive
ausgesprochen haben? Und bei Peter Pilz als Verteidigungsminister
müsste man vermutlich froh sein, wenn er Kritiker nicht dem
Standrecht unterwirft.

Nein, das Problem ist nicht, dass Norbert Darabos Edmund Entacher
abberufen hat. Das Problem ist, dass niemand da ist, der Norbert
Darabos abberuft. Der Verteidigungsminister hat während der
vergangenen Monate in der Diskussion um Wehrpflicht und Berufsheer
bewiesen, dass er für die Position des Verteidigungsministers nicht
der Richtige ist: Er versteht nichts davon, er ist nicht dazu in der
Lage, das Vertrauen der Militärs zu gewinnen, und er ist politisch
eine Marionette des Wiener Bürgermeisters, der "Kronen Zeitung" und
des Bundeskanzlers, der seinerseits nichts weiter ist als das
Ergebnis der Gleichung ",Krone? minus Häupl ist gleich Faymann".

Norbert Darabos hat den Generalstabschef vermutlich auch nicht
deshalb abberufen, weil er, was die Wehrpflicht und das Milizsystem
betrifft, anderer Meinung ist als der Ressortchef, sondern weil es
die "Kronen Zeitung" von ihm verlangt hat. Entacher kann im Grunde
gar nicht anderer Meinung als Darabos sein, weil Darabos während der
vergangenen Monate in Sachen Heeresorganisation, Wehrpflicht und
Berufsheer nie zu erkennen gegeben hat, dass er so etwas wie eine
Meinung über eine Gesprächssituation hinaus beibehalten kann.

Es ist nicht lange her, da hat der Verteidigungsminister noch
erklärt, dass es mit ihm eine Abschaffung der Wehrpflicht nicht geben
werde. Nun eben doch, geschenkt: Er ist nicht der erste und wird
nicht der letzte österreichische Politiker sein, der sich auf diese
Weise blamiert. Dass er jetzt aber die Verteidiger der Wehrpflicht,
etwa die Offiziersgesellschaft, polemisch mit dem SC Kroatisch
Minihof vergleicht, deutet darauf hin, dass er Werner Faymanns Coach
gebucht hat. Das Waserl als Zyniker: lächerlich.

Die jüngste Wehrpflichtdebatte wurde vollkommen losgelöst von jeder
sicherheitspolitischen Grundlage geführt, weil sich der Wiener
Bürgermeister von der Forderung nach Abschaffung der Wehrpflicht
Stimmen erhofft und die "Kronen Zeitung" schon lange Stimmung dafür
macht. Es spricht ja auch tatsächlich viel für die Abschaffung der
Wehrpflicht und die Einführung eines Berufsheeres. Allerdings müsste
dieses Heer entweder sehr groß sein, um dem Grundsatz der bewaffneten
Neutralität zu genügen, oder man müsste sich eingestehen, dass man de
facto Teil eines Bündnisses ist und also innerhalb dieses Bündnisses
mit einem schlanken Berufsheer spezifische Teilaufgaben übernimmt.

Wer gehofft hat, dass wenigstens der Bundespräsident, ein
Verfassungsrechtler von Gnaden, bei seinem Gespräch mit Darabos diese
Grundsatzfragen ansprechen würde, wurde nicht enttäuscht: Er hoffe,
sagte Fischer, dass die Abberufung des Generalstabschefs "der
Judikatur des Verfassungsgerichtshofs entspricht". In seiner zweiten
Amtszeit kann er sich diese schonungslose Offenheit leisten.

Rückfragehinweis:
Die Presse
Chef v. Dienst
Tel.: (01) 514 14-445
mailto:chefvomdienst@diepresse.com
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