Wiener Zeitung: Leitartikel von Franz Zauner: "Politik für Verbitterte"
Ausgabe vom 5. Jänner 2011
Wien (OTS) - Es gibt kein besseres Sinnbild für zeitgenössische Politik als Krisengipfel. An- und abrauschende Politiker, staatsmännische Sorgenmienen und Durchhalte-Interviews bieten eines der letzten Arrangements, in denen sich Polstertüren-Politik in höchster Selbstgewissheit erfolgreich legitimiert. In dieser Hinsicht könnte 2011 für Staatenlenker ein kompliziertes Jahr werden, denn es verspricht Pausen im kurzatmigen Krisenkampf.
In Österreich steht kein Urnengang mit Umsturzpotenzial auf der Agenda. Das Budget ist auf Jahre hinaus unverrückbar festgeschrieben. Mit etwas Glück werden auch die kleinen und großen Zumutungen der Sparpakete die Konjunktur nicht drücken. Zeit genug also, ganz ernsthaft die unglaubliche politische Verbitterung zu adressieren, die trotz politischer Erfolge gerade im Krisenmanagement zu einer Massenerscheinung geworden ist.
Die politische Verbitterung zeigt sich in vielfältiger Gestalt, hat aber ein Leitmotiv: die fehlende Gerechtigkeit und ihr allgegenwärtiges Gegenteil. Ein kleiner Spaziergang durch den Blätterwald zeigt Ungerechtigkeiten sonder Zahl: Da fällt der Enthüllungsblick einmal auf Milliardäre, die sich in idyllischen Alpenlagen Landsitze zugelegt haben, aber von der EU als Bergbauern subventioniert werden. Drunten im flachen Land stehen braungebrannte blau-orange Glücksritter supernackt da mit Provisionsmillionen, deren Herkunft ihnen und der Staatsanwaltschaft Rätsel aufgibt.
Es ist nicht nur Verteilungsungerechtigkeit, die den bekannten Unsinnigkeiten und Tricksereien allein in Österreich 492.000 Menschen hilflos gegenüberstehen lässt, die chronisch zu wenig Geld zum Leben haben. Auf nahezu jedem politischen Themenfeld steht ein Diskurs über Gerechtigkeit aus. Ein ernsthafter Schlichtungsversuch in dem seit Jahren laufenden Scheidungsprozess zwischen Wählern und Gewählten könnte hier ansetzen.
Es fällt nicht schwer, der Gerechtigkeit in allen erdenklichen Formen eine große Konjunktur in der politischen Auseinandersetzung zu prophezeien. Die Frage ist, ob es noch eine Politik jenseits der Bunkermentalität von War Rooms, Manövern des Machterhalts und bedingungsloser Klientel-Pflege gibt.
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