- 02.12.2010, 13:00:36
- /
- OTS0177 OTW0177
90 Jahre Bundesrat: Festakt im Parlament "Bundesrat ist kein Gegenpol zum Nationalrat sondern eine Ergänzung"
Wien (PK) - Am 1. Dezember 1920 trat der österreichische
Bundesrat zu seiner ersten Sitzung zusammen. Aus diesem Anlass
lud Bundesratspräsident Martin Preineder heute zu einer
"Feierstunde" in den Sitzungssaal der Länderkammer. Festredner
war der ehemalige Bundesratspräsident Herbert Schambeck, außerdem
kamen neben Preineder auch der Vorsitzende der ÖVP-
Bundesratsfraktion Gottfried Kneifel, der langjährige
Fraktionsvorsitzende der SPÖ im Bundesrat Albrecht Konecny und
die Vorsitzende der FPÖ-Bundesratsfraktion Monika Mühlwerth zu
Wort.
Preineder konnte zur Feierstunde neben zahlreichen ehemaligen
Mitgliedern des Bundesratspräsidiums auch die Vorarlberger
Landtagspräsidentin Bernadette Mennel, ihre Amtskollegen aus der
Steiermark und aus dem Burgenland, Manfred Wegscheider und
Gerhard Steier, den Wiener Stadtrat Michael Ludwig und ÖVP-
Klubobmann Karlheinz Kopf begrüßen.
Preineder: Den Bundesrat aktiver in die Gesetzgebung einbinden
Seine Eröffnungsrede leitete Preineder mit einem Zitat von Jakob
Reumann, dem ersten Vorsitzenden des Bundesrats, ein. Reumann
betonte bei der ersten Sitzung der Länderkammer, dass "die neue
Bundesverfassung den Ländern eine Rechtsstellung gibt, die sie zu
wahren Gliedstaaten eines Bundesstaats macht und die volle
Gleichheit zwischen Bund und Ländern vorsieht." Gleichzeitig
äußerte er aber auch den Wunsch, dass der Bundesrat die
legislative Tätigkeit des Nationalrats nicht behindern möge.
Preineder folgert daraus, dass der Bundesrat nicht als Gegenpol
zum Nationalrat geschaffen, sondern als Ergänzung zu diesem
gesehen worden ist. Auch heute sei der Bundesrat kein "Tiger",
der seine Zähne zeige, sondern eine Eule, die sich um ihr
regionales Revier kümmere, bekräftigte er.
Die öffentliche Diskussion werde allerdings von "Föderalismus
versus Zentralismus" geprägt und in der "veröffentlichten
Meinung" die Reibungsflächen zwischen Bund und Ländern in den
Vordergrund gestellt, bedauerte Preineder. Der tägliche
reibungslose Ablauf bei der Verwaltung von Bundesgesetzen durch
die Länder werde hingegen nicht gesehen. Für Preineder geht es,
wie er sagte, nicht um Machtdenken, sondern um eine klare und
sinnhafte Arbeitsteilung zwischen Gemeinden, Bundesländern,
Bundesstaat und EU.
Dem Bundesrat wohne ein eigener Geist inne, hob Preineder hervor.
Er agiere nicht populistisch, sei konsens- und nicht
konfliktorientiert, lösungs- und nicht problembezogen und fühle
sich den Menschen in den Regionen verpflichtet. Mit den neuen
Mitwirkungsrechten in EU-Angelegenheiten sei der Bundesrat
außerdem zu einem Sprachrohr und einem verlängerten Arm der
Länder und der Regionen in Brüssel geworden.
Für die Zukunft sprach sich Preineder für eine intensivere
Einbindung des Bundesrats in die Arbeit der Landtage und eine
aktivere Mitgestaltung an der Gesetzwerdung aus. Er sieht den
Bundesrat zudem als Treiber und Mahner der Verwaltungsreform.
Schambeck: Ideal des Bundesstaats und Realität stimmen nicht
überein
Festredner Herbert Schambeck erinnerte in seinem Vortrag an die
Gründung der Republik Österreich und wies darauf hin, dass das
1920 verabschiedete Bundes-Verfassungsgesetz ein Zwei-Kammer-
System mit dem Nationalrat als Volksvertretung und dem Bundesrat
als Ländervertretung vorsah. Der Bundesrat könne ebenso wie der
Nationalrat den Begriff Parlament für sich in Anspruch nehmen,
betonte er. Das B-VG war für ihn ein Kompromiss zwischen der vor
1867 geltenden Dezemberverfassung und den Erfordernissen der
demokratischen Republik und der Bundesstaatlichkeit.
Trotz der in der Verfassung verankerten Gleichheit von Bund und
Ländern habe Österreich allerdings von Anfang an zentralistische
Züge aufgewiesen, gab Schambeck zu bedenken. Die österreichische
Politik sei immer von einem Spannungsverhältnis zwischen dem
Ideal des Bundesstaats und seiner Realität begleitet gewesen.
Dass Österreich im Jahr 1945 seine Einheit wahren konnte, ist
nach Ansicht von Schambeck ein wesentliches Verdienst der
Bundesländer. Erst nachdem die Länder die in Wien gebildete
Bundesregierung anerkannt hätten, sei diese auch von den
westlichen Alliierten akzeptiert worden. In der Folge habe der
Bundesrat den Weg Österreichs vom Wiederaufbau bis zur
Wiedererlangung der vollen Souveränität durch den Staatsvertrag
begleitet, führte Schambeck aus.
In den letzten Jahrzehnten habe der Bundesrat, so Schambeck,
sukzessive mehr Rechte bekommen. So wurde ihm etwa 1984 ein
absolutes Vetorecht gegen Verfassungsänderungen eingeräumt, die
eine Schmälerung der Kompetenzen der Länder zum Inhalt haben.
Seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union könne er zu
allen Vorhaben der Europäischen Union Stellungnahmen abgeben. In
Bezug auf die neue Möglichkeit der Subsidiaritätsrüge und der
Subsidiaritätsklage sei der Bundesrat dem Nationalrat
gleichgestellt. Der Bundesrat sei Sprachrohr der Länder in
Brüssel, stimmte Schambeck mit Bundesratspräsident Preineder
überein.
Kneifel: Wer wachsen will, braucht Wurzeln
Gottfried Kneifel, Vorsitzender der Bundesratsfraktion der ÖVP,
kam in seiner Rede auf die Bedeutung des föderalen Prinzips zu
sprechen. Österreich habe sich, wie er ausführte, völlig
freiwillig für den Weg des Föderalismus entschieden. Dass dieses
Modell gut sei, zeige sich nicht zuletzt daran, dass den Regionen
in vielen Staaten Europas zunehmend mehr Gewicht zukomme. Das
steigende Ansehen des Föderalismus sah Kneifel dabei mit dem
Fortschreiten der Globalisierung verbunden: Dem Ruf nach
Weltoffenheit stehe heute der Wunsch nach Verwurzelung gegenüber.
Denn nur wer Wurzeln habe, sei tragfähig und könne wachsen, stand
für den Bundesrat fest.
Föderalismus und Subsidiarität seien damit auch besonders
wirksame Mittel gegen Politikverdrossenheit, zeigte sich Kneifel
überzeugt. Im Falle komplexer (Gesetzes-)Materien, die nicht
leicht vermittelbar sind, müssten die Bürgerinnen und Bürger auf
ihre VolksvertreterInnen vertrauen können. Für die Schaffung
einer solchen Vertrauensbasis müsse sich, wie Kneifel ausführte,
auch die Länderkammer des Parlaments einsetzen. Vertrauen brauche
es überdies zwischen Bund und Ländern, Ländern und Gemeinden und
schlussendlich zwischen nationalen Parlamenten und Europäischer
Union.
Der Bundesrat müsse auch am europäischen Gestaltungsprozess
teilhaben, indem er jene Instrumente nutzt, die ihm seit
Verabschiedung der Lissabon-Begleitnovelle zur Verfügung stehen,
appellierte Kneifel. Die Europäische Union solle für die
BürgerInnen im Alltag spürbar werden, die Mitglieder des
Bundesrats übernehmen dabei die Rolle des "Bodenpersonals".
Mühlwerth: Bundesrat muss eine schlagkräftige Länderkammer werden
Monika Mühlwerth blickte in ihrer Funktion als Vorsitzende der
Freiheitlichen Bundesratsfraktion auf die Geschichte der
Länderkammer zurück: Dabei hätte seit ihrer Gründung ein
angespanntes Verhältnis zwischen Bund und Ländern geherrscht, was
auch mit dem Verfassungskompromiss des Jahres 1929 nicht gänzlich
überwunden werden konnte, skizzierte sie. Und auch die
Gestaltungsmöglichkeiten, die dem Bundesrat nach seiner
Wiedereinführung 1945 zugestanden wurden, waren "endenwollend",
kritisierte Mühlwerth. Zwar habe es immer wieder Reformen
gegeben, diese hatten jedoch nie grundlegenden Charakter und
seien damit eher als "Reförmchen" zu bezeichnen, stellte sie
fest.
Das Bekenntnis zum föderalen Prinzip stehe dennoch außer Frage,
zumal die Vergangenheit zeige, dass die Bundesländer durchaus
etwas bewegen könnten. Machtdemonstrationen der Landeshauptleute
wären jedoch fehl am Platz: Diese müssten, so Mühlwerth,
einsehen, dass auch sie Teil des Ganzen sind.
Dass man das Instrument der Subsidiaritätsrüge auch für den
Bundesrat habe reklamieren können, bezeichnete sie als großen
Erfolg. Was nun zur Verfügung stehe, gelte es aber auch mit Leben
zu erfüllen, forderte Mühlwerth ein.
Was die Frage einer Reform des Bundesrats anbelangt, gelte es
über alles zu diskutieren, was die Länderkammer effizienter und
schlagkräftiger macht. Hierbei allein den Kostenfaktor im Auge zu
haben, sei jedoch nicht der richtige Weg, denn damit erweise man
dem Parlamentarismus keinen guten Dienst.
Konecny: Stellungnahme- und Teileinspruchsrecht für Bundesrat
Der scheidende Vorsitzende der Bundesratsfraktion der SPÖ,
Albrecht Konecny, meinte, man müsse die Länderkammer erfinden,
gebe es sie nicht bereits: Ein föderal verfasster Staat brauche
schließlich ein entsprechendes Gremium. Konecny erinnerte daran,
dass man heute zwar der ersten Bundesratssitzung vor 90 Jahren
gedenkt, dies aber nicht bedeute, dass die Länderkammer in dieser
Zeit kontinuierlich bestanden habe. Nach Ausschaltung des
Nationalrats 1933 habe dieses Gremium aber seine Tätigkeit
weitergeführt, womit die Demokratie ein letztes Lebenszeichen von
sich gab. Der Bundesrat warnte bereits damals vor dem, was kommen
sollte. Diese Warnung sei zwar vergeblich gewesen, dürfe aber
nicht vergessen werden, betonte Konecny.
Außer Frage stehe aber auch, dass die Tätigkeit des Bundesrats
jederzeit einer Effizienzprüfung zu unterziehen ist. An einer
solchen Optimierung arbeite die Länderkammer auch selbst
besonders intensiv, hob Konecny hervor. Im Rahmen der Lissabon-
Begleitgesetznovelle habe der Bundesrat sogar seine Rechte
ausweiten können. Unbefriedigend sei es aber, dass die
Länderkammer erst am Ende des Gesetzgebungsverfahrens zu den
Vorlagen Position beziehen könne. Vor dem Hintergrund der derzeit
bestehenden Schwierigkeiten wünschte sich Konecny nicht nur ein
Stellungnahme-, sondern auch ein Teileinspruchsrecht für dieses
Gremium. Außerdem wäre es zielführend, bei der Zusammensetzung
des Verfassungsgerichtshofs Mitsprache zu erhalten.
Konecny - Abschied vom Bundesrat nach 23 Jahren
Konecny, der 1942 in Wien geboren wurde, nutzte die Feierstunde
auch dazu, sich von den WegbegleiterInnen seiner 23 Jahre
währenden Tätigkeit als Bundesrat zu verabschieden. Er verlieh
dabei seiner Hoffnung Ausdruck, dass jene PolitikerInnen, die in
der Länderkammer Erfahrung gesammelt haben, sich auch später zum
Bundesrat bekennen mögen. Überdies sollten sich auch jene, die
hier einmal die Opposition stellten, dieser Situation eingedenk
sein, wenn sie wieder eine Mehrheit zählten. Er selbst werde sich
gerne an die freundschaftliche Kooperation zwischen den
Bundesratsfraktionen zurückerinnern, die immer im Dienst der
Sache stand, schloss Konecny.
Verabschiedet wurde der langjährige Bundesrat von Präsident
Martin Preineder, der die Gelegenheit nutzte, den politischen
Werdegang Konecnys nachzuzeichnen, sowie von den Vorsitzenden der
Bundesratsfraktionen. (Schluss)
HINWEIS: Fotos von der Feierstunde finden Sie - etwas
zeitverzögert - auf der Website des Parlaments
(www.parlament.gv.at) im Fotoalbum.
Eine Aussendung der Parlamentskorrespondenz
Tel. +43 1 40110/2272, Fax. +43 1 40110/2640
e-Mail: pk@parlament.gv.at, Internet: http://www.parlament.gv.at
OTS-ORIGINALTEXT PRESSEAUSSENDUNG UNTER AUSSCHLIESSLICHER INHALTLICHER VERANTWORTUNG DES AUSSENDERS - WWW.OTS.AT | NPA






