• 08.09.2010, 18:15:11
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WirtschaftsBlatt-Leitartikel: Willkommen in der verweigerten Realität - Hans Weitmayr

Zwei Jahre nach Lehman brodelt es gewaltig unter der Oberfläche

Wien (OTS) - Es ist jetzt also zwei Jahre her, dass der Kollaps
der US-Investmentbank Lehman Brothers das tektonische Gefüge der
Weltwirtschaft grundlegend verändert hat (siehe Artikel Seite 2).
Oder etwa nicht? Hätte ein Beobachter vor 24 Monaten die Augen
geschlossen und erst heute wieder geöffnet, welche Veränderungen
würden diesem Menschen auffallen? Die EU besteht, wie es bei
Totgesagten üblich ist, nach wie vor. Die USA stellen nach wie vor
die weltgrößte Wirtschaftsmacht dar. Und in Österreich soll die
Wirtschaft dieses Jahr um immerhin 1,8 Prozent wachsen.
Also alles in Ordnung? Leider nicht.

Denn unter der scheinbar heilen Oberfläche brodelt es gewaltig. Die
USA kommen aufgrund eines nach wie vor darniederliegenden
Arbeitsmarktes nicht in die Gänge. Damit fehlt der Antrieb der
globalen Konjunkturlokomotive. China steigt bereits auf die Bremse,
um eine Überhitzung zu vermeiden. Und über Europa nachzudenken,
schürt allenfalls Magengeschwüre: Griechenland, Ungarn,
Budgetdefizite allerorts und Wachstumsraten, die tendenziell einen
Rückgang der Arbeitslosigkeit verhindern.

Vor diesem Hintergrund ist eine tiefgreifende Reform des
Finanzsektors - zumindest in Europa - ausgeblieben. Basel III, das
für stabilere Verhältnisse sorgen sollte, wird täglich stärker
verwässert. Dazu trägt nicht zuletzt Deutschland bei. Was in
Österreich anscheinend nicht ungern gesehen wird. Denn das erlaubt
den heimischen börsenotierten Banken, Kernkapitalquoten auszuweisen,
die - trotz staatlichen Stützkapitals - nach wie vor im einstelligen
Bereich liegen. Was wiederum bedeutet, dass diese Institute einer
neue Krise prinzipiell genauso gegenüberstehen, wie sie es vor Lehman
sind, insbesondere, wenn dieses Kapital bald zurückgezahlt werden
soll.

Trifft die nächste Krisenwelle auf Europa und Österreich, stehen die
handelnden Personen also vor denselben, überwältigenden
Herausforderungen wie vor zwei Jahren. Der Unterschied: Die Staaten
sind inzwischen finanziell vollkommen ausgelaugt und können ihre
eigenen Unternehmen und Volkswirtschafen im Ernstfall nicht mehr
schützen. Die Wucht der Welle wird also ungebremst über uns
hereinschwappen. Wann und von wo dieser Brecher kommen wird -
US-Immobilienmarkt, Griechenland, Finanzsektor - ist schwer zu sagen.
Ein Lostag wird aber sicher das Ende der Hilfen für Griechenland
sein. Das ist die Realität, in der wir uns befinden. Die Realität,
auf die wir uns vorbereiten müssen und unglücklicherweise die
Realität, die von uns verweigert wird.

Rückfragehinweis:
Wirtschaftsblatt Verlag AG
Tel.: Tel.: 01/60117 / 300
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