"Kleine Zeitung" Kommentar: "Nordkoreas Diktator wird die Krise überleben" (Von Bernhard Bartsch)
Ausgabe vom 26.5.2010
Graz (OTS) - Die Lage auf der koreanischen Halbinsel spitzt sich weiter zu. Als Rache für den Abschuss der Korvette Cheonan durch Nordkorea will Südkorea nun Handel und andere Formen der Zusammenarbeit einstellen und gemeinsam mit den USA Truppenübungen abhalten. Die Strafe ist symbolischer Art: Die beiden Koreas tauschen ohnehin nicht viele Waren aus, und dass Nordkoreas Armee im Kriegsfall chancenlos wäre, ist auch ohne Manöver unumstritten.
Die Reaktionen zeigen, wie gering Südkoreas Handlungsspielraum ist. Für Präsident Lee Myung-bak wird die Krise zur größten Herausforderung seiner Amtszeit. Ob er diese Aufgabe meistert, wird sich im Juni zeigen. Dann stehen in Südkorea Kommunalwahlen an, die auch zu einem inoffiziellen Referendum über Lees Amtsführung werden dürften. Eine hohe Zustimmungsquote wäre der letzte Nagel im Sarg der versöhnlichen "Sonnenscheinpolitik" - und der Hoffnung, dass es auch auf der koreanischen Halbinsel zu Wandel durch Annäherung kommen könnte.
Allerdings kann sich auch Pjöngjang nicht leisten, seine Provokationen unbeschränkt fortzusetzen. Das Regime ist auf ein Mindestmaß an internationalem Austausch angewiesen, um Devisen zu erwirtschaften und Eliten aus Partei und Militär bei der Stange zu halten. Im Vorjahr ist Nordkoreas Außenhandel um zehn Prozent geschrumpft, und man darf annehmen, dass der Druck auf Diktator Kim Jong-il im Gegenzug um zehn Prozent gestiegen ist. Irgendwann muss er auch ihm zu groß werden.
Doch wann dieser Punkt kommt, entscheidet nicht Südkorea, sondern China. Peking ist Pjöngjangs engster Verbündeter. Nordkorea und China seien wie "Lippen und Zähne", beschrieb einst Mao Zedong die Beziehung der kommunistischen Bruderstaaten. Heute scheint es jedoch, als beiße sich China mit den Zähnen auf die Lippen: So sehr beide Länder nach außen ihre Freundschaft beschwören, so sehr ist das Verhältnis von Misstrauen geprägt.
Tatsächlich führen Peking und Pjöngjang nur eine Zweckehe. Nordkorea braucht Chinas wirtschaftliche Hilfe und diplomatische Rückendeckung. Gleichzeitig dient Nordkorea den Chinesen als Puffer zu den Truppen der USA in Südkorea und als exklusive geostrategische Einflusszone. Der Status quo auf der koreanischen Halbinsel dient Chinas Interessen besser als jedes andere Szenario, etwa ein Zusammenbruch Nordkoreas oder eine Wiedervereinigung mit dem Süden. Deswegen kann Kim Jong-il darauf hoffen, auch den Cheonan-Angriff vorerst politisch zu überleben.****
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