• 24.05.2010, 12:30:53
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Die Presse am Sonntag - Leitartikel: Vom Schaden für Rechnitz, von Rainer Nowak

Ausgabe vom 23.05.2010

Wien (OTS) - Bei den Wiener Festwochen erregt Elfriede Jelineks
Stück "Rechnitz (Der Würgeengel)" wie geplant die Gemüter. Über das
Massaker an ungarischen Juden, die Schlussstrich-Forderung und
schuldlose Erben.

Wer auf der Homepage der Gemeinde Rechnitz vom Massaker an 180
ungarischen Juden durch örtliche Nazis sucht, muss suchen. Auf der
Seite "Geschichte" steht kein Wort über NS-Gräuel. Wer zwischen
"Sehenswürdigkeiten" und "Wein" auf "Gedenkstätten" geht, stößt über
dem Denkmal des Kameradschaftsbundes für die Gefallenen der
Weltkriege unter dem Titel "Kreuzstadl" auf Informationen. "Hier fand
in der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945 ein Ereignis statt, das
dem Ansehen unserer Gemeinde unermesslichen Schaden zufügte: Es war
dies die Ermordung von 180 ungarischen Juden."
Dann geht es um die Opfer: Dass deren Gräber trotz mehrmaliger
Grabungen nicht gefunden wurden, liest man da. Dass dieser
"Kreuzstadl" von der Kultusgemeinde finanziert worden sei, um "der
Nachwelt als mahnendes Denkmal erhalten zu bleiben".
Elfriede Jelinek trägt nun also wieder zum Schaden der Gemeinde bei:
Bei den Wiener Festwochen hatte diesen Samstag ihr Stück "Rechnitz"
Österreich-Premiere. Es geht um die obszöne Party im Schloss der
Gräfin Batthyány-Thyssen. Das sogenannte Gefolgschaftsfest ging über
die Bühne, während Russen anrückten. Mehrere Gestapo- und
NS-Funktionäre verließen es, um - alkoholisiert - jüdische Häftlinge
zu erschießen, die am nahen Bahnhof nach Strapazen und Folter
transportunfähig gestrandet waren. Dieses makabre Fest hat nicht nur
Historiker, sondern Journalisten bewegt: "180 Tote als Partyeinlage"
und "Gräfin bläst zur Menschenjagd", hieß es in den vergangenen
Jahren in grellen Titeln. Ob die Gräfin überhaupt anwesend war, ist
historisch nicht klar bewiesen.
Ihre Nachfahren Dominik und Ladislaus E. Batthyány wenden sich in
dieser Ausgabe der "Presse am Sonntag" gegen das Stück Jelineks, in
dem die Gräfin nicht nur als Gastgeberin, sondern auch als Mörderin
dargestellt wird. Dies sei nicht zulässig, schreiben ihre Verwandten:
Das Eintreten gegen Rassismus und für Menschenwürde habe doch auch
mit dem Kampf gegen Mittel der Vereinfachung zu tun. Kritik an
Jelineks Stück als Teil des Kampfs gegen den Rassismus?
Nein. Das ist sie sicher nicht. Der Vorwurf dümmlicher Verknappung
kann und muss im Fall des Falles gegen Historiker und Journalisten
erhoben werden. Jelinek darf und muss sich aber künstlerische
Freiheiten erlauben können. Die Batthyánys haben sich auch die
Freiheit genommen, ein Detail wegzulassen: Sascha Batthyány,
Großneffe der Gräfin, vertrat im "Süddeutschen Magazin" die
Überzeugung, dass seine Großtante bei dem Fest als Gastgeberin dabei
gewesen sei.
Jelineks Text - nach Einschätzung unseres Theaterkritikers Norbert
Mayer eine wortgewaltige, politisch sehr korrekte Anklage - regt noch
immer auf. Um einmal die altbekannte Argumentation umzudrehen: Es
muss endlich einmal Schluss sein mit der Wehleidigkeit der
schuldlosen, unfreiwilligen Erben der Täter und Mitwisser. Das wäre
ein Schlussstrich.
Burgenlands Landeshauptmann und Wahlkämpfer Niessl wird sich nach
Angaben seines Sprechers das Stück übrigens nicht ansehen - "aus
Termingründen". Auch o. k.

Rückfragehinweis:
chefvomdienst@diepresse.com

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