WirtschaftsBlatt-Leitartikel: Weil Schweden im Alter auch glücklich sind - von Alexis Johann
Der Arbeitsmarkt leert sich schneller, als Nachschub kommt
Wien (OTS) - Tatsächlich fährt die Versicherungsbranche mit dem Rückspiegel in die Zukunft. Das wissen Fahrer roter Autos, die statistisch gesehen mehr Unfälle produzieren und hin und wieder höhere Prämien aufgebrummt bekommen. Der Rückspiegel wirkt, wenn die Variablen, die zur Berechnung der Prämien herangezogen werden, über Jahre hinweg stabil bleiben. Was jedoch, wenn es langfristige, verdeckte Trends in den Daten gibt, die die Kalkulation auf den Kopf stellen? Wenn etwa Naturkatastrophen zunehmen und damit die Ansprüche stärker zunehmen als die Prämien?
Versicherungen reicht daher der rückwärtsgerichtete Blick bei manchen Themen nicht, sie beschäftigen Ökonomen zur Zukunftsforschung. Gerade weil sie ein betriebswirtschaftliches Interesse an Prognosen haben, ist ihren Statistiken mehr zu trauen als denen, die im Auftrag von Staaten oder NGOs erstellt wurden. Das ist beim Treibhauseffekt so, aber auch bei der Demografie. In einer aktuellen Analyse weist die Volkswirtschaftsabteilung der Allianz darauf hin, dass es in der Europäischen Union erstmals mehr potenzielle Pensionisten als potenzielle Berufseinsteiger gibt: 28,8 Millionen EU-Bürgern im Alter zwischen 60 und 65 Jahren stehen heuer nur 28,6 Millionen Menschen im Alter zwischen 15 und 20 Jahren gegenüber. Diese Nachwuchslücke wird bis zum Jahr 2030 auf 8,3 Millionen anwachsen und jede Menge Probleme bereiten.
Offensichtlich ist, dass die Lücken im Sozialsystem damit größer werden. Immer weniger arbeitende Menschen müssen - dem Umlagesystem entsprechend - immer mehr Mitbürger erhalten, die ihre Sozialansprüche konsumieren. Der Fortschritt, etwa im Bereich Neurorehabilitation, verschärft den Trend.
Weniger offensichtlich ist der negative Effekt auf den Arbeitsmarkt. Der übervolle Arbeitsmarkt leert sich zwar schneller, als der jugendliche Nachschub kommen kann. Für Arbeitgeber ist diese Botschaft jedoch insofern schlecht, als der Wettbewerb um qualifiziertes Personal empfindlich steigt. Aber auch sonst geht die optimistische Rechnung nicht auf, da die Strukturprobleme bleiben:
Die Qualifikation der Arbeitnehmer entspricht nicht den Anforderungen der Arbeitgeber. Jugendliche Migranten erhalten - wenn sie überhaupt bleiben dürfen - geringe Unterstützung zur Vermeidung von Bildungsabbrüchen.
In der Folge verliert Europa gegenüber den USA, die aufgrund höherer Migration keine Nachwuchslücke haben. Wenn sich nichts ändert. Derzeit ist in Österreich nur einer von fünf Menschen im Alter zwischen 60 und 65 beschäftigt, in Schweden dagegen sind es drei von fünf. Die Kollektivverträge lassen Firmen kaum Spielraum zum Gegensteuern. Wer lange gearbeitet hat, der kostet in Österreich viel. Noch zementieren Gewerkschafter dieses Prinzip ein.
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