Die Presse - Leitartikel: Wären sie doch Zyniker, von Michael Fleischhacker
Ausgabe vom 09.01.2010
Wien (OTS) - Politiker, die gierigsten Eigentümer von allen, kritisieren den Gierkapitalismus: Ein Witz, der leider keiner ist.
Außerhalb Österreichs war in den vergangenen eineinhalb Jahren die schwerste Finanz- und Wirtschaftskrise seit Menschengedenken zu beobachten. Der gelernte Österreicher glaubt auch zu wissen, warum:
Weil die sozialpartnerschaftlichen Strukturen den österreichischen Menschen ein Gefühl der Sicherheit vermittelt haben, sodass sie nicht wie der Rest der Weltbevölkerung in Panik ausgebrochen sind. Weil der Privatisierungswahn der neoliberalen Kampftruppe Wolfgang Schüssels durch die Bildung einer Großen Koalition rechtzeitig gestoppt werden konnte, sodass der österreichische Arbeitsmarkt nicht durch die Opfer des sonst zu erwartenden Kahlschlags geflutet wurde. Weil die Regierung rechtzeitig in Konjunkturpakete investiert hat, sodass im Krisenjahr 2009 mehr Kfz-Zulassungen verzeichnet werden konnten als im Jahr zuvor.
Dass die Krise in Österreich nicht stattgefunden hat, erleichtert es den Österreichern, die richtigen Lehren aus ihr zu ziehen: dass nämlich mit dem Kapitalismus auch und vor allem die Idee der Privatisierung staatlichen Eigentums abgewirtschaftet habe. Denn am Ende, das hätten das Bankenhilfspaket und Notverstaatlichungen gezeigt, müsse der Staat ohnehin einspringen: Die seinerzeitigen Gewinne habe man privatisiert, die jetzigen Verluste würden sozialisiert.
Dass Gewinne privatisiert und Verluste sozialisiert wurden, stimmt in der Tat, und es gehört zu den unschönen Aspekten des allseits gelobten Krisenmanagements von Notenbanken und Regierungen, dass man nicht nur die Banken gerettet hat, was volkswirtschaftlich unvermeidlich war, sondern auch und vor allem die Eigentümer und Manager: Sie haben in den fetten Jahren die Prämien für ein Risiko lukriert, das man ihnen jetzt abgenommen hat - ohne die Prämien zurückzufordern. Das verdirbt die Sitten und erhöht, wie man sieht, die Wiederholungsgefahr.
Die Geschichte von der privaten Raffgier und der öffentlichen Opferbereitschaft ist allerdings gerade im Bankenbereich ein frommes Märchen: Es ist kein Zufall, dass sowohl in Deutschland als auch in Österreich jene Banken die größten Risken akkumuliert haben, die sich im Teilbesitz der öffentlichen Hand befanden: Die Länder als Bankeneigentümer waren mindestens so gierig wie die viel gescholtenen Gierschlunde von der Wall Street. Die "Selbstbedienungsmentalität", die zum Standardvokabular der modischen Kapitalismuskritik gehört, ist bei öffentlichen Eigentümern nicht weniger stark ausgeprägt, im Gegenteil: Die chronisch überschuldeten öffentlichen Haushalte brauchten immer mehr Geld, um ihre Löcher zu stopfen, und dieses Geld besorgten sie sich bei "ihren" Banken. Sei es in Form von Sonderdividenden, sei es in Form von Haftungsentgeltvorauszahlungen oder politisch erwünschten Investitionen.
Das gleiche Spiel wurde und wird mit Landesenergieversorgern und sonstigen Unternehmen im öffentlichen Eigentum gespielt. Warum die Landesenergiegesellschaften auch vor der sogenannten Liberalisierung über märchenhafte Marketingbudgets verfügten, obwohl ihre "Kunden" keine Alternative hatten? Weil sie auf Wunsch der politischen Eigentümer per "Sponsoring" Ereignisse und Institutionen finanzieren mussten, für die in den politischen Kassen kein Geld mehr war. Vielleicht sollte man bei dieser Gelegenheit auch an den Grund für die tödlichen Bawag-Karibikgeschäfte erinnern: Der Bankeigentümer ÖGB brauchte mehr Geld, um das Defizit abzudecken, das aufgrund sinkender Mitgliederzahlen und steigender Personalkosten Jahr für Jahr größer wurde.
Dass es besser sei, Unternehmen im öffentlichen Eigentum zu belassen, statt sie zu privatisieren, gehört zu den gängigsten "Lehren", die Politiker, Globalisierungskritiker und andere Krisenprofiteure ziehen wollen. Öffentliche Perlen wie der Wiener Flughafen, die ÖBB oder der ORF dürfen nicht vor die kapitalistischen Säue geworfen werden: Das ist entweder unglaublich naiv oder unglaublich zynisch. Eher Ersteres, denn um einen Sachverhalt ins Zynische wenden zu können, müsste man ihn verstanden haben.
Es ist ein Treppenwitz der Ideologiegeschichte, dass Politiker, die mit Wohnbauförderungsdarlehen gezockt, die Landesenergieversorger missbraucht und Landesbanken ausgenommen haben, sich hinstellen, um zu erklären, wie schäbig es doch von den gierigen Managern und "Spekulanten" sei, sich am Ende vom Staat retten zu lassen, und dass es so mit dem Turbokapitalismus nicht weitergehen könne.
Das wirklich Schlimme ist, dass sie wahrscheinlich glauben, was sie sagen.
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